Für die Sanktionspläne gegen kriminelle Unternehmen schlägt dem BMJV heftige Kritik aus der Wirtschaft entgegen. Verbände fordern das Aus für das Gesetzesvorhaben.
Noch bis zum heutigen Freitag konnten die Verbände Stellung nehmen zu einem der rechtspolitischen Großvorhaben des Justizministeriums (BMJV): Dem Gesetzentwurf zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft – so der offizielle Name, die Pläne werden seit langem unter den Schlagworten "Verbandssanktionen" oder "Unternehmensstrafen" diskutiert. Trotz neuem Titel: Es gibt scharfe Kritik aus der Wirtschaft und aus der Anwaltschaft.
"Der Referentenentwurf eines 'Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft' hält nicht, was sein Titel vorgibt. Er darf in der vorliegenden Form nicht weiterverfolgt werden.", heißt es in einem Schreiben von Wirtschaftsverbänden. "In der vorliegenden Form lehnen wir das Gesetzesvorhaben insgesamt ab." Unterzeichnet haben der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der Arbeitgeberverband BDA, der Handelsverband HDE, der Verband "Die Familienunternehmer" und der Bundesverband der Unternehmensjuristen (BUJ).
Mit dem Entwurf aus dem BMJV soll eine Art verschärftes Ordnungswidrigkeitenrecht für Unternehmen geschaffen werden, speziell auf Unternehmenskriminalität zugeschnitten und mit verbraucherschützenden Elementen. In dem Entwurf wird tunlichst vermieden, von "Strafen" zu sprechen, das Dokument hält sich stattdessen an "Sanktionen".
Unternehmensjuristen kritisieren Sanktionshöhe und Vorgaben bei Compliance
Die Staatsanwaltschaften müssten nach dem Entwurf künftig zwingend ermitteln, wenn ein Anfangsverdacht für eine aus einem Unternehmen heraus begangene Straftat vorliegt, die Verfolgung steht nicht mehr in ihrem Ermessen. Die Höhe der Geldsanktion soll sich künftig an der Wirtschaftskraft des Unternehmens orientieren. Für große Wirtschaftsunternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro Jahresumsatz können die Geldsanktionen bis zu zehn Prozent des Umsatzes betragen.
Der Entwurf war zwischen BMJV und Wirtschaftsministerium, und zwischen den Fraktionen der Union und der SPD in Einzelheiten lange Zeit umstritten. Aus dem "Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität" wurde das "Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft". Offenbar ein Zugeständnis an Wirtschaftsvertreter, die schon eine rhetorische Kriminalisierungswirkung befürchten. In ihrer Stellungnahme greifen die Wirtschaftsverbände nun aber auch einzelne Regelungen in dem Entwurf an.
So kritisieren die Unternehmensjuristen des BUJ die Definition der vorgesehenen Compliance-Maßnahmen. Dem Verband fehlen klare Vorgaben dazu, welche Vorkehrungen Unternehmen treffen müssen, um eine Verfolgung zu verhindern oder abzumildern. Das bedeute insbesondere für den Mittelstand Rechtsunsicherheit. Auch den Sanktionsrahmen hält der Verband für unverhältnismäßig. Der Verbändebrief spricht gar von einer "Todesstrafe" für Unternehmen.
Kritik am Herzstück des Entwurfs: Die internen Ermittlungen
Nicht einverstanden ist der Verband auch mit der Trennung von interner Untersuchung und Verteidigung. Ein Herzstück des Gesetzentwurfs bilden nämlich die Möglichkeiten für Unternehmen, Verbandssanktionen zu mildern, indem sie selbst die Vorwürfe untersuchen und dabei vollumfänglich mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren. Dieses dem deutschen Recht ursprünglich fremde Rechtsinstitut der sog. Internal Investigations wird auch in Deutschland schon seit längerem praktiziert, vorwiegend von großen Wirtschaftskanzleien und hochspezialisierten kleinen Boutiquen, bisher allerdings weitgehend im luftleeren Rechtsraum. Besonders sensibler Punkt: Nach dem BMJV-Plan sollen die Ergebnisse interner Untersuchungen beschlagnahmt werden können.
Ohne ein sogenanntes Legal Privilege, also ein Privileg etwa anwaltliche Korrespondenz nicht offenlegen zu müssen, sei für Syndikusanwälte und andere Rechtsanwälte eine "praxisferne und wirksamkeitshemmende Trennung" nicht hinnehmbar, kritisiert der BUJ.
DAV: Zurechnungsgrundsätze und Schuldprinzip über Bord geworfen
Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisiert den Gesetzentwurf scharf. "Im Gewande eines Verbandssanktionengesetzes werden zur Zurechnung entwickelte Grundsätze und das Schuldprinzip über Bord geworfen", heißt es in der Stellungnahme.
Faktisch handele es sich um ein "klandestines Unternehmensstrafrecht". Die drastische Verschärfung der Sanktionen gegenüber dem aktuellen Ordnungswidrigkeitenrechts sprenge die Grenzen der Angemessenheit: "Das gilt schon für die Bemessung der Verbandssanktionen nach dem durchschnittlichen Jahresumsatz, erst recht aber für das Abstellen auf den Konzernumsatz."
Die Regelungen zu internen Untersuchen "treiben auf eine rechtsstaatlich problematische Privatisierung des Ermittlungsverfahrens zu", so die Anwälte weiter. Rechtsstaatlich inakzeptabel sei die Möglichkeit der Beschlagnahme von Unterlagen bei Anwälten
Positiv zu vermerken sei allerdings die Herausnahme der Verbandsauflösung als Sanktion und die Beschränkung des Regelungsbereichs von vornherein auf Verbände, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist.
kus/aka/LTO-Redaktion
Reaktionen zu Unternehmenssanktionsrecht: . In: Legal Tribune Online, 12.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41887 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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