1983 wurde der Angeklagte im Fall Möhlmann freigesprochen. 39 Jahre später soll Mann erneut vor Gericht. Der umstrittene § 362 Nr. 5 StPO macht es möglich, gegen den nach Ansicht des OLG Celle keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.
In dem Strafverfahren wegen der Tötung der 17-jährigen Frederike von Möhlmann hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle (OLG) die Beschwerden des früheren Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Verden (LG) zurückgewiesen (Beschl. v. 20.04.2022, Az. 2 Ws 62/22). Das LG hatte den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme des Verfahrens für zulässig erklärt und Untersuchungshaft angeordnet.
Der frühere Angeklagte wird verdächtigt Frederike von Möhlmann im Jahr 1981 vergewaltigt und getötet zu haben. Von diesem Vorwurf hatte ihn das Landgericht Stade 1983 rechtskräftig freigesprochen, weil es keine eindeutigen Beweise gegeben hatte. Erst 2012 hatte das Landeskriminalamt Niedersachsen ein molekulargenetischen Gutachten erstellt. Das Ergebnis zeigt, dass die DNA des früheren Angeklagten mit der DNA der Spermaspur am Slip der Getöteten übereinstimmt.
Die neue Rechtslage macht es möglich
Aufgrund der Rechtskraft des Freispruchs konnte dieses neue Beweismittel zunächst nicht zu Lasten des früheren Angeklagten berücksichtigt werden. Zu dieser Zeit konnten rechtskräftig abgeschlossene Strafverfahren nur dann zu Ungunsten des Angeklagten wiederaufgenommen werden, wenn das frühere Verfahren unter bestimmten schweren Mängeln litt oder ein freigesprochener Angeklagter die Tat zwischenzeitlich gestanden hatte.
Das änderte sich im Jahr 2021, als der Gesetzgeber die Wiederaufnahmemöglichkeiten erweiterte. Nach dem neu eingefügten § 362 Nr. 5 StPO kommt eine Wiederaufnahme auch bei neuen Tatsachen oder Beweismitteln in Betracht, nach denen eine Verurteilung wegen Mordes oder anderer unverjährbarer schwerster Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Diese Neuregelung ist sowohl rechtspolitisch als auch verfassungsrechtlich hoch umstritten.
"Keine Zweifel an Vereinbarkeit mit Doppelverfolgungsverbot"
Doch der 2. Senat des OLG hält die gesetzliche Neuregelung für verfassungsgemäß. Er habe keinerlei Zweifel daran, dass die neue Wiederaufnahmemöglichkeit mit dem Verbot der strafrechtlichen Doppelverfolgung vereinbar sei, geht aus dem Beschluss hervor, der LTO vorliegt. So gelte sie nur für äußerst eng umgrenzte Fallkonstellationen und sehe hohe Hürden vor. Auch das allgemeine Rückwirkungsverbot hält der Senat nicht für verletzt. Mit der Neuregelung sei kein neuer materiell-rechtlicher, rückwirkend anwendbarer Straftatbestand geschaffen worden. Vielmehr würde nur die Verfolgbarkeit von bereits unter Strafe gestellten Taten rückwirkend neu geregelt, heißt es im Beschluss.
Im Fall Möhlmann bilde das Gutachten in Verbindung mit den Beweisen aus dem früheren Verfahren einen dringenden Grund i.S. von § 362 Nr. 5 StPO dafür, dass der frühere Angeklagte in einem neuen Strafverfahren wegen Mordes verurteilt werde. Damit seien die Voraussetzungen des neuen Wiederaufnahmegrundes erfüllt. Allerdings hatte das LG die dringenden Gründe bisher nur summarisch geprüft, weil der frühere Angeklagten noch nicht ausreichend Gelgenheit hatte Stellung zu nehmen. Daher muss das LG nocheinmal abschließend über die Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags der Staatsanwaltschaft entscheiden. Sollte sich das Gericht für die Begründetheit des Antrags und somit für eine Wiederaufnahme des Verfahrens entscheiden, kommt es zu einer erneuten Hauptverhandlung. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt für den früheren Angeklagten jedoch die Unschuldsvermutung
Bundesjustizminister hat verfassungsrechtliche Bedenken
Zu den verfassungsrechtlichen Kritikern der Wiederaufnahme gehört der Bundesjustizminister Marco Buschmann. Er hatte im Januar gegenüber der Deutschen Presse-Agentur auf seine verfassungsrechtlichen Bedenken hingewiesen: "Meine Auffassung als Abgeordneter und als Rechtspolitiker ist, dass dieses Gesetz ein erhebliches Problem darstellt und man sich schon die Frage stellen muss, ob hier nicht sogar die Verfassung verletzt ist. Ich persönlich halte es für richtig, dass wir uns die Frage noch mal vornehmen."
CDU-Politiker Dr. Jan-Marco Luczak, der das Gesetz für die Union verhandelt hatte, begrüßte heute die Entscheidung des Gerichts. Das OLG Celle habe eine klare und wegweisende Entscheidung gefällt. "Mit der Feststellung, dass das Gesetz zur Wiederherstellung materieller Gerechtigkeit durch das Rechtsstaatsgebot gerechtfertigt ist und auch nicht das Verbot der Doppelbestrafung verletzt, sollten alle Spekulationen über die Verfassungsgemäßheit der neuen Regelung vom Tisch sein", so der CDU-Politiker.
Dies dürfte indes nicht der Fall sein. Die Verteidiger des Angeklagten haben bereits eine Verfassungsbeschwerde angekündigt.
cp/fz/LTO-Redaktion
OLG Celle im Fall Möhlmann: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48193 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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