Der Insolvenzverwalter der Wirecard AG hat gegen Ernst & Young einen Anspruch auf Auskunftserteilung und auf Einsicht in die Handakten der Jahresabschlussprüfung. Das entschied das LG Stuttgart.
Die Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft GmbH (EY) muss dem Insolvenzverwalter der Wirecard AG unter anderem Auskunft über den Inhalt von Akten erteilen und Einsicht in die geführten Handakten gewähren. Das entschied die 31. Kammer für Handelssachen des Landgerichts (LG) Stuttgart mit am 15. November 2022 verkündetem Urteil, nach einer Mitteilung vom Montag (Az. 31 O 125/21 KfH). Eine Entscheidung über die im Wege der Stufenklage beantragte Herausgabe der Akten steht noch aus.
In dem Verfahren, welches der Insolvenzverwalter nun vor dem LG gewann, geht es um die Handakten, die anlässlich von Jahresabschlussprüfungen sowie anlässlich einer vom Unternehmen in Auftrag gegebenen forensischen Sonderuntersuchung angelegt worden waren. Das Unternehmen Wirecard hatte 2020 einen Insolvenzantrag gestellt und damit den Stein für eine umfassende Prüfung der Unternehmensangelegenheiten ins Rollen gebracht. Im Zusammenhang mit dem Unternehmen erfolgt derzeit sowohl eine Auseinandersetzung vor deutschen Zivil- als auch Strafgerichten. Auf dem Gelände der Münchener JVA Stadelheim begann am 8. Dezember 2022 der Prozess gegen drei ehemalige Manager von Wirecard. LTO berichtete vom Auftakt des Wirecard-Prozesses aus München.
Hintergrund sei der von EY erteilte Bestätigungsvermerk
Im Kern gehe es dem Insolvenzverwalter um die Frage, weshalb EY im April 2017 als Ergebnis der Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG zum 31. Dezember 2016 einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilte, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts. Denn kurz zuvor hätten die Wirtschaftsprüfer noch dokumentiert, dass es offene Bilanzierungssachverhalte gebe, die im Zusammenhang mit der forensischen Sonderuntersuchung untersucht worden waren. Im März 2017 hatte der für die Abschlussprüfung verantwortliche Partner dem Finanzvorstand der Wirecard AG noch mitgeteilt, dass bestimmte in 2015 und 2016 gebuchte Umsätze nicht in angemessener Art und Weise nachgewiesen seien und dass sich aus den involvierten Beträgen Konsequenzen für den Konzernabschluss ergeben könnten. Ende März 2017 hatte die Beklagte abermals die Einschränkung des Bestätigungsvermerks angedroht, dann aber wenige Tage später das Testat erteilt.
Im Zusammenhang mit Wirecard hatte EY dem Untersuchungsausschuss des Bundestages, der sich mit der Angelegenheit befasst, bereits die Handakten einschließlich der Arbeitspapiere herausgegeben. Dem Insolvenzverwalter gegenüber war die Wirecard AG zu Auskünften oder Einsicht in die Akten nicht bereit.
Abschlussprüfer unterliegen umfassender Rechenschaftspflicht
Zu Unrecht, wie nun das LG Stuttgart entschied. Neben Akteneinsicht und Auskunftspflicht verurteilte die Handelskammer EY zur Beantwortung konkreter Fragen im Zusammenhang mit der Prüfung des Konzernabschlusses. Nach Auffassung der 31. Kammer für Handelssachen unterlägen auch Abschlussprüfer trotz ihrer Weisungsfreiheit einer umfassenden Auskunfts- und Rechenschaftspflicht. Der, in diesem Fall vom Insolvenzverwalter geltend gemachte, Anspruch des Mandanten auf Auskunft und auf Einsicht in die Handakten erstrecke sich insbesondere auch auf die Arbeitspapiere, die zu Recht als wichtige Ergänzung zum Prüfungsbericht gelten, da sie sämtliche Prüfungsnachweise enthalten müssen und der Stützung der Prüfungsaussagen dienen sollen.
Nach der Auskunfts- und Rechenschaftspflicht für entgeltliche Geschäftsbesorgungen (§§ 666, 675 Bürgerliches Gesetzbuch) müsse der Abschlussprüfer dem Auftraggeber in verkehrsüblicher Weise die notwendige Übersicht und die Kenntnis von den wesentlichen Einzelheiten der entfalteten Prüfungstätigkeit verschaffen, so das LG. Die Regelung für anzufertigende Handakten aus § 51b Abs. 4 Wirtschaftsprüferordnung (WPO) dürfe nicht dahingehend missverstanden werden, dass sämtliche Dokumente, mit deren Hilfe der Wirtschaftsprüfer den Fortgang der entfalteten Prüfungstätigkeit festhält, dem Zugriff des Mandanten von vornherein entzogen wären. Die Norm schränke lediglich die Herausgabe von Unterlagen ein, nicht jedoch den Auskunftsanspruch des Auftraggebers durch Einsicht in die Unterlagen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
ku/LTO-Redaktion
LG Stuttgart gibt Insolvenzverwalter Recht: . In: Legal Tribune Online, 12.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50444 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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