Die Anwälte des Musikers Gil Ofarim behaupten, dass die aufsehenerregende Zulassung der Anklage in der vergangenen Woche unwirksam sei. Es sei noch nicht über einen Befangenheitsantrag entschieden worden. Das LG weist die Kritik zurück.
Vor dem ersten terminierten Verhandlungstag am 24. Oktober 2022 sind im Fall des Musikers Gil Ofarim vorab noch immer prozessrechtliche Fragen offen - jedenfalls wenn es nach Ofarims Verteidigern geht, die das Landgericht (LG) Leipzig nun scharf kritisieren.
Am vergangenen Mittwoch hat das LG Leipzig die Anklage gegen den Musiker Gil Ofarim wegen falscher Verdächtigung in zwei Fällen, davon einer mit Verleumdung zugelassen (Beschl. v. 15.09.2022, Az. 6 KLs 607 Js 56884/21). Hintergrund des Strafverfahrens ist ein über die sozialen Medien verbreitetes Video des Musikers Gil Ofarim, in dem er einem Hotelmitarbeiter antisemitisches Verhalten vorwarf.
Die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens hatte sich wegen mehrerer seitens der Verteidigung gestellter Befangenheitsanträge verzögert. Ein Verteidiger des Musikers, Dr. Alexander Stevens, hatte schon früh kritisiert, dass es sich um einen "Schauprozess" handle. Die Staatsanwaltschaft hatte den Fall wegen besonderer Bedeutung der Sache - statt wie sonst üblich zum Amtsgericht - gleich zum LG Leipzig angeklagt. Dieses hat die besondere Bedeutung des Falles ebenfalls gesehen, sich für zuständig erklärt und die Anklage daraufhin zugelassen.
War die Zulassung der Anklage unwirksam?
Nach Ansicht des Verteidigerteams von Gil Ofarim, bestehend aus Stevens, Markus Hennig, Dr. Alexander Betz und Dr. Tido Hokema, ist die Entscheidung über die Zulassung der Anklage durch die 6. Strafkammer jedoch wegen eines Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO; Verfahren nach Ablehnung eines Richters) unwirksam. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens am 15. September habe der Vorsitzende Richter der Kammer neben den zwei weiteren Berufsrichtern sowie den zwei Schöffen an der Entscheidung gar nicht mitwirken dürfen, behaupten die Verteidiger.
Grund dafür sei ein von ihnen gestelltes Befangenheitsgesuch vom 13. September 2022, über das nach Angaben der Verteidiger bis heute noch nicht entschieden worden sei. Die Verteidiger hatten den Vorsitzenden Richter mit dem Befangenheitsgesuch erneut abgelehnt, weil dieser sinngemäß geäußert haben soll, sich alltäglichen Antisemitismus in einem hochklassigen Hotel schwer vorstellen zu können. Kern des Ablehnungsgesuches sei damit eine neue Tatsache gewesen, die bisher nicht berücksichtigt worden sei, so die Verteidigung.
Anderes berichtet das LG Leipzig dagegen auf LTO-Anfrage. Nach Angaben des Pressesprechers sei bereits vor der Entscheidung über die Zulassung der Anklage sowohl über das erste als auch über das zweite Befangenheitsgesuch entschieden worden. Zu dem nach Angaben der Verteidigung bei Gericht eingereichte dritte Befangenheitsgesuch vom 13. September machte der Pressesprecher keine Angaben. Dass die zwei vorherigen Befangenheitsgesuche vom 15. August und 28. August hingegen als unbegründet zurückgewiesen worden seien, gehe aus dem Beschluss über die Zulassung der Anklage vom 15. September hervor, so der Pressesprecher. Soweit das Verteidigerteam meine, über einen Befangenheitsantrag sei nicht entschieden worden, verwies der Sprecher darauf, dass dies das Oberlandesgericht klären müsse.
Verteidigung stellt vierten Befangenheitsantrag
Ofarims Verteidiger Stevens kritisiert neben der Entscheidung über die Zulassung der Anklage auch die Kommunikation des LG Leipzig in dem betreffenden Verfahren. Wegen Bloßstellung in der Öffentlichkeit und willkürlicher Versagung rechtlichen Gehörs stellte die Verteidigung daher am vergangenen Freitag einen weiteren und damit nach eigenen Angaben vierten Befangenheitsantrag.
Stevens kritisiert insbesondere den Versand der Entscheidung über die Zulassung der Anklage per Post. Nach Angaben der Verteidiger hätten sie selbst von der Zulassung der Anklage zuerst in der Presse erfahren. Dabei seien im Vorfeld des Verfahrens alle Mitteilungen der Kammer per Fax an die Verteidigung gesendet worden - nur ausgerechnet die Entscheidung über die Zulassung der Anklage sei per Post versendet worden. So sei die Entscheidung über die Zulassung der Anklage den Verteidigern erst zwei Tage nach Veröffentlichung der Pressemitteilung des LG Leipzig zugegangen. Damit sei dem Angeklagten jede Möglichkeit genommen worden, gegen die Ablehnung der Befangenheitsgesuche Beschwerde zu erheben.
Für den Versand der Entscheidung per Post gebe es aber einen einfachen Grund, hält der Pressesprecher des LG Leipzig den Vorwürfen der Verteidigung auf LTO-Anfrage entgegen. Beim postalischen Versand handle es sich um ein ganz übliches Vorgehen, denn bei der Entscheidung über die Zulassung einer Anklage sei eine förmliche Zustellung zwecks Nachweises nötig. Entsprechend sei der Postversand für diese Art von Schriftstücken gängige Praxis.
Gegen den Beschluss über die Zulassung der Anklage, mit dem die zwei Ablehnungsgesuche abgelehnt worden sind, legte die Verteidigung sofortige Beschwerde ein, über die nun zunächst das Oberlandesgericht Dresden entscheiden muss. Auch die Entscheidungen über die weiteren Befangenheitsanträge stehen weiterhin aus.
Weiterer Befangenheitsantrag im Fall Ofarim: . In: Legal Tribune Online, 28.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49752 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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