Die Bluttat des jugendlichen Amokläufers in Winnenden beschäftigt sieben Jahre später noch einmal die Justiz: Der Vater klagt gegen Ärzte seines Sohnes. Sie hätten vor dem 17-Jährigen warnen müssen, argumentiert er.
War der Amoklauf von Winnenden, bei dem 2009 16 Menschen starben, vorhersehbar? Mit dieser Frage befasst sich fast genau sieben Jahre nach der Bluttat das Landgericht (LG) Heilbronn. Der Vater des jugendlichen Täters verklagt Ärzte und Therapeuten seines Sohnes. Sie hätten ihn warnen müssen, dass von seinem Sohn große Gefahr ausgeht, argumentiert der ehemalige Unternehmer. Er will erreichen, dass die Experten die Hälfte des Schadensersatzes übernehmen, den er an Opfer, Hinterbliebene, die Stadt Winnenden und die Unfallkasse Baden-Württemberg zahlen muss. Das Landgericht taxierte diese Summe auf vier Millionen Euro. Wann die Entscheidung fällt, stand zunächst nicht fest - jedoch nicht vor Ende April.
Bis ein halbes Jahr vor dem Amoklauf am 11. März 2009 hatten die Ärzte und Therapeuten vier Gespräche mit dem späteren Täter geführt. Dabei sei es zu Behandlungsfehlern gekommen, argumentiert der Vater, der zur Verhandlung am Dienstag nicht erschienen war. Seine Anwälte legten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Auch die Experten wollten sich nicht äußern und verwiesen auf ihre ärztliche Schweigepflicht, die auch über den Tod hinaus gelte.
Amokläufer hat von Tötungsfantasien gesprochen
Den Eltern sei nach den vier Gesprächen im September 2008 eine umfassende Therapie ihres Sohnes angeraten worden, argumentierte die Verteidigerin der Fachleute des Zentrums für Psychiatrie in Weinsberg. Diese Behandlung sei aber nie angetreten worden. Im ersten Gespräch hatte der spätere Amokläufer einer Ärztin gegenüber von Tötungsfantasien gesprochen. Er habe Gedanken, "alle erschießen" zu können, steht in den Akten. Am Ende stand die Diagnose einer sozialen Phobie des Jugendlichen. Diese Diagnose bezeichnete ein Gutachter am Dienstag als "nicht ganz zutreffend" - von einer Fehldiagnose könne aber nicht gesprochen werden.
Tim K. hatte am 11. März 2009 an seiner ehemaligen Schule in Winnenden und auf der Flucht im nahe gelegenen Wendlingen 15 Menschen und sich selbst erschossen. Die Tatwaffe hatte sein Vater, ein Sportschütze, im Kleiderschrank versteckt. Das Landgericht Stuttgart verurteilte ihn später wegen fünfzehnfacher fahrlässiger Tötung zu einer 18-monatigen Bewährungsstrafe. Auch entschied das Gericht, dass der Mann für Behandlungskosten von Opfern und Hinterbliebenen aufkommen muss.
Mehrere Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen sind bereits beglichen: Zwei Millionen Euro flossen von der Versicherung des Vaters an mehr als 30 Opfer und Hinterbliebene, 400.000 Euro an die Stadt. Forderungen der Unfallkasse für Heilbehandlungen von Schülern, Eltern und Lehrern über knapp eine Million Euro stehen noch aus.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Sieben Jahre nach Winnenden: . In: Legal Tribune Online, 23.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18878 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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