Der Physiker Wiesendanger warf Drosten in einem Interview vor, die Bevölkerung über den Ursprung des Coronavirus getäuscht zu haben. Diese und weitere Aussagen muss er künftig unterlassen. In anderen Punkten war Drosten hingegen unterlegen.
Der Virologe Christian Drosten ist im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes teilweise erfolgreich gegen Aussagen des Physikers Roland Wiesendanger vorgegangen, die dieser in einem Interview mit dem Magazin Cicero äußerte. In einem LTO vorliegenden Beschluss (Beschl. v. 14.03.2022, Az. 324 O 88/22) verbot das Landgericht Hamburg (LG) dem Physiker vier Aussagen. Weitere Aussagen, die Drosten ebenfalls verbieten lassen wollte, hat das LG als zulässige Meinungsäußerung eingestuft. Die Parteien müssen sich die Verfahrenskosten teilen.
Fehlzitate und nicht vorhandene Anknüpfungstatsachen
Wiesendanger erlangte bundesweit Aufmerksamkeit, weil er die These unterstützt, dass das Coronavirus in einem Labor gezüchtet worden sei. In einem Cicero-Interview kritisierte er Christian Drosten scharf. Inhaltlich drehen sich die Aussagen thematisch alle um den Ursprung des Coronavirus, zum Beispiel dass "Christian Drosten die Öffentlichkeit gezielt getäuscht" habe oder Drosten im NDR-Corona-Podcast die These, das Coronavirus habe seinen Ursprung im Labor, mit "Dieses Thema ist einfach erledigt" kommentiert habe. Das Gericht sprach Drosten den Unterlassungsanspruch in Bezug auf diese Aussagen zu.
So fehle es bei der Äußerung, Drosten habe über den Ursprung des Virus getäuscht, an hinreichenden Anknüpfungstatsachen. Denn Drosten habe im NDR-Podcast vom 08.06.2021 geäußert, dass weder hinsichtlich einer tierischen noch hinsichtlich der labortechnischen Herkunft des SARS-CoV-2-Virus eine klare wissenschaftliche Überzeugung bestehe. Die Behauptung von Wiesendanger, Drosten habe gesagt, dass Thema des möglichen Laborursprung sei "einfach erledigt", ordnete das LG als Fehlzitat ein. Denn das Zitat "ist einfach erledigt" im NDR-Podcast habe sich auf einen ganz anderen Sachverhalt bezogen, nämlich auf die These, dass es im Erbgut des Coronavirus angeblich HIV-Sequenzen gäbe. Die Äußerung Wiesendangers stelle damit eine unwahre Tatsachenbehauptung dar, die zu unterlassen sei.
Teilweise zulässige Wertungen im wissenschaftlichen Meinungskampf
Die von Wiesendanger im Zuge dieser Berichterstattung verwendeten Begriffe "Desinformationskampagne" und "Unwahrheiten" seien hingegen zulässige Wertungen im wissenschaftlichen Meinungskampf, so das Hamburger Gericht. Auch scheiterte Drosten mit dem Versuch, Wiesendanger die Behauptung zu verbieten, Drosten habe ein "allerhöchstes Interesse" den Verdachtsmoment nicht in Richtung Laborursprung zu lenken. Dies sei eine wertungsgeprägte zulässige Schlussfolgerung.
Wiesendanger Rechtsanwalt Dr. Lucas Brost bewertet die Entscheidung gegenüber LTO als ersten Erfolg für die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit. Das LG habe klargestellt, dass bei einem die Öffentlichkeit derart berührenden Thema der Diskurs auch pointiert ausfallen dürfe. Allerdings scheine das LG zu verkennen, dass sich die Aussage von Wiesendanger zur Täuschung auf einen Artikel bezog. In diesem Artikel, der u.a. von Drosten verfasst wurde, sei die Laborthese als Verschwörungstheorie bezeichnet worden, obwohl die Teilnehmer einer Telefonkonferenz, die nur wenige Tage vor Publikation des Artikels stattfand, die Laborthese für möglich hielten. "Darin sah mein Mandant eine Täuschung der Öffentlichkeit", so Rechtsanwalt Dr. Brost.
Wiesendanger wird Rechtsmittel einlegen, Drosten wohl nicht
Christian Drostens Rechtsanwalt Gernot Lehr teilte gegenüber LTO mit, sein Mandant habe sich in den zentralen und wichtigen Punkten durchgesetzt. Er sehe daher keinen Grund für eine sofortige Beschwerde. "Die abgewiesenen Punkte fallen in den Bereich der bloßen Meinungsäußerung, enthalten aber nach Auffassung des Gerichts keine Tatsachenbehauptungen. Diese gerichtliche Feststellung ist ein weiterer Erfolg des Verfahrens", so Rechtsanwalt Lehr.
Nach Information von LTO hat hingegen Roland Wiesendanger, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Lucas Brost, bereits Widerspruch gegen die Entscheidung des LG eingelegt. Der Widerspruch richtet sich nicht gegen das vom LG angenommene Fehlzitat, aber unter anderem gegen das Verbot der Äußerung, dass Drosten die Öffentlichkeit gezielt getäuscht habe. Das LG Hamburg muss nun eine mündliche Verhandlung ansetzen.
fz/pdi/LTO-Redaktion
LG Hamburg verbietet Äußerungen in Cicero-Interview: . In: Legal Tribune Online, 16.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47848 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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