Das LG Duisburg steht in der Kritik, weil es nach der Loveparade-Katastophe die Hauptverhandlung nicht eröffnet hat. Es hätte ein neues Gutachten in Auftrag geben müssen, so der Vorwurf. Aber den Gerichten sind Grenzen gesetzt.
Angesichts der Zurückweisung der Anklage für einen Loveparade-Strafprozess durch das Landgericht (LG) Duisburg wird über die Frage gestritten, ob das Gericht einen zusätzlichen Gutachter hätte bestimmen müssen. Es hatte im Gutachten der Staatsanwaltschaft Fehler ausgemacht, weswegen eine Verurteilung der zehn Beschuldigten nicht zu erwarten sei.
Die Entscheidung erntete viel Kritik - selbst NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) äußerte Unverständnis. Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte der Passauer Neuen Presse zu dem Beschluss: "Es geht um die Eröffnung eines Strafverfahrens mit Möglichkeiten der weiteren Beweiserhebung. Das abzulehnen ist von außen nicht nachvollziehbar."
Der Traumaexperte Ulrich Zielke von der LWL-Klinik in Dortmund sagte der Deutschen Presse-Agentur, jetzt könnten alte Wunden wieder aufreißen. Diejenigen, denen es bis jetzt nicht gelungen sei, ausreichend Abstand zu dem Unglück zu gewinnen, könnten die Gefühle von Wut und Ohnmacht auch als erneute Traumatisierung erleben.
LG: "keine Hauptverhandlung vor der Hauptverhandlung"
Rechtswissenschaftler Henning Ernst Müller von der Universität Regensburg weist aber darauf hin, dass dem Gericht bei der Bestellung eigener Gutachten Grenzen gesetzt sind: "Es geht ausdrücklich um ergänzende Beweismittel", sagte der Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzugsrecht an der Universität Regensburg. Auf dem umstrittenen Gutachten zur Loveparade-Katastrophe habe die Staatsanwaltschaft jedoch weite Teile ihrer Anklage aufgebaut. Solche zentralen Beweisstücke nachträglich auszutauschen, sei Gerichten in anderen Fällen untersagt worden, erläuterte Müller.
Die Duisburger Staatsanwaltschaft hat kritisiert, dass das LG trotz seiner Zweifeln an dem Gutachten des Panikforschers Keith Still keinen zweiten Sachverständigen eingesetzt hatte. Die Richter wiesen das zurück und betonten, es sei ihnen "von Gesetzes wegen untersagt", ein ganz neues Gutachten einzuholen. Das Gericht könne nur ergänzende Ermittlungen veranlassen. "Ermittlungen größeren Umfangs zur Komplettierung eines von der Staatsanwaltschaft unzulänglich belegten Anklagevorwurfs sind indes gesetzlich nicht vorgesehen."
Im Nichteröffnungs-Beschluss des LG Duisburg heißt es, es sei nicht Aufgabe des Tatgerichts, quasi eine Hauptverhandlung vor der Hauptverhandlung durchzuführen.
Sachverhaltsermittlung ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft
Tatsächlich stellt § 202 Strafprozessordnung (StPO) es in das Ermessen des Gerichts, ob es zur besseren Sachaufklärung einzelne Beweiserhebungen anordnet. Zulässig sind schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nur einzelne Beweiserhebungen, nicht aber umfangreiche eigene Ermittlungen. Den Sachverhalt auszuermitteln, ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft.
Von seinem Recht auf Nachbesserung hat das LG Duisburg bereits Gebrauch gemacht. Befindet das Gericht, dass die Staatsanwaltschaft unzureichend ermittelt hat, kann es die Anklageschrift mit der Aufforderung zur Nachbesserung zurückgeben. Im Loveparade-Zwischenverfahren hat Gutachter Still daraufhin diverse Fragen beantwortet.
§ 202 erlaubt es dem Gericht nicht, wesentliche Ermittlungsarbeiten nachzuholen, sondern macht lediglich Ergänzungen möglich, um einen noch nicht vorhandenen hinreichenden Tatverdacht zu begründen oder auszuräumen. Ob das Gericht überhaupt verpflichtet sein kann, selbst zu ermitteln, ist umstritten, selbst die Befürworter einer solchen Pflicht beschränken ihre Annahme auf enge Ausnahmefälle. Die Staatsanwaltschaft ist dagegen auch nach der Anklageerhebung zu eigenen Ermittlungen berechtigt, ggf. auch verpflichtet.
Die zuständige Staatsanwaltschaft Duisburg hat gegen die Entscheidung des LG Beschwerde eingelegt. Hierüber wird das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf entscheiden müssen. Das OLG kündigte bereits an, dass die Bearbeitung angesichts des Umfangs der Entscheidung selbst und der dazu gehörenden Unterlagen mehrere Monate dauern wird.
pl/una/LTO-Redaktion
MIt Materialien von dpa
Nichteröffnungsbeschluss im Loveparade-Verfahren: . In: Legal Tribune Online, 06.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18985 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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