Der VW-Skandal hat milliardenschwere Schadenersatz-Forderungen ausgelöst. Hierzulande soll jetzt ein Musterverfahren nach dem KapMuG die Prozesslawine in geordnete Bahnen lenken. Manche fürchten aber um Verjährung ihrer Ansprüche.
Im juristischen Ringen um die Abgas-Affäre bei Volkswagen ebnet das Landgericht (LG) Braunschweig wie erwartet den Weg für die gebündelte Klärung zentraler Streitfragen. In Kürze sollen die sogenannten Feststellungsanträge veröffentlicht werden, mit denen sowohl klagende VW-Investoren als auch der Konzern selbst wichtige Aspekte in nächsthöherer Instanz vorentschieden haben wollen.
Damit werden mögliche Weichenstellungen für die Verfahren absehbar, die am Ende mehr Tempo und Planbarkeit bringen sollen. Den Angaben zufolge geht es dabei um Dutzende zentrale Streitfragen. In einem ersten Schritt lässt das LG diese nun im Bundesanzeiger erscheinen, wie es am Mittwoch bekanntgab. Der genaue Zeitpunkt dafür blieb zunächst noch unklar.
Musterverfahren keine Sammelklage
Möglich wird die Bündelung für die höhere Gerichtsinstanz über das sogenannte Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG). Die Begründung für das Gesetz lautete 2005, dass Massenklagen wie bei der Telekom nach der bestehenden Zivilprozessordnung nicht mehr zu bewältigen seien. Daher ist das Gesetz auch unter dem Namen "Lex Telekom" bekannt. Es wurde 2012 reformiert. Im Kern geht es darum, zentrale Rechtsfragen sämtlicher Fälle bereits vorab von der nächsthöheren Instanz verbindlich entscheiden zu lassen. Dafür wird aus der Vielzahl der ganz ähnlich gelagerten Klagen ein einziger Fall als Exempel herausgegriffen.
Bei Uneinigkeit kann das Prozedere bis zum Bundesgerichtshof (BGH) gehen. Nach der Grundsatzentscheidung muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die KapMuG-Entscheidung passt, um ein individuelles Urteil auszufertigen. Sollte eine Partei nicht einverstanden sein, wird der Einzelfall dennoch mit allen Besonderheiten durchverhandelt. Dann jedoch hat dabei der KapMuG-Musterentscheid eine bindende Wirkung.
Da das KapMug gewissermaßen nur zentrale Fragen vorab notfalls auch höchstrichterlich klären lässt, ist es nicht mit Sammelklagen zu vergleichen, die etwa das US-Rechtssystem kennt ("class action"). Dabei müssen Kläger nicht ihren individuellen Schaden nachweisen, sondern nur ihre Zugehörigkeit zur betroffenen Gruppe ("class"). Daher münden Sammelklagen in den USA oft in große Vergleiche.
Anleger fürchten Verjährung
Wie das LG am Mittwoch weiter mitteilte, soll der eigentliche Vorlagebeschluss mit sämtlichen "entscheidungserheblichen Feststellungszielen" aber frühestens im August folgen. Über ihn muss dann das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig entscheiden - es kann dann einen Musterkläger bestimmen, der als Stellvertreter für alle Verfahren sehr geeignet erscheint. Mit ihm wird der Kern des Prozesses im Diesel-Skandal praktisch höherinstanzlich vorab geklärt.
Der Zeithorizont für das KapMuG löste am Mittwoch Kritik aus. Die Kanzlei Tilp - Vertreter einer milliardenschweren Klage – fürchtet eine Verjährung zum 19. September 2016 "für besonders gut gelagerte Ansprüche von Kapitalanlegern gegen VW". Sie schrieb: "Von dieser drohenden Verjährung sind zigtausende von privaten und institutionellen Anlegern betroffen." Der rechtlich sicherste Weg gegen eine Verjährung sei daher das rasche Einreichen einer Klage.
dpa/una/LTO-Redaktion
VW-Aktionäre fordern Schadensersatz wegen Abgas-Affäre: . In: Legal Tribune Online, 25.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19479 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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