Wenn Menschen die Betreuung von Angehörigen übernehmen, verschwimmen die Grenzen: Was ist noch Familienangelegenheit, was ist schon Betreuungsaufgabe? Davon hängt ab, ob und welcher Versicherungsschutz greift. Jetzt entschied das LSG.
Der Schlag mit einer Vase gegen den Kopf des ehrenamtlichen Betreuers kann ein Arbeitsunfall sein – und zwar auch, wenn Betreuer und Betreuter Familienangehörige sind. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt entschieden (Urt. v. 26.06.2024, Az. L 6 U 19/23).
Geklagt hatte ein Mann, der für seinen durch eine geistige Behinderung beeinträchtigten erwachsenen Sohn als ehrenamtlicher Betreuer bestellt war. Dabei gehörte auch die Gesundheitsfürsorge zu den Aufgaben des Vaters. Im Februar 2016 kam es in der gemeinsamen Wohnung zum Streit, der Sohn wurde wütend und schlug seinem Vater schließlich eine Vase auf den Kopf.
Die zuständige Unfallkasse wollte dies indes nicht als Arbeitsunfall im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB VII anerkennen. Zwar unterfalle der Vater als ehrenamtlicher Betreuer grundsätzlich dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Jedoch habe sich der Vorfall nicht im Rahmen einer versicherten Tätigkeit ereignet. Denn soweit der Auslöser des Streits eine Meinungsverschiedenheit darüber war, ob und wie der Sohn sein Zimmer aufräumt, sei dies vielmehr dem Familienalltag zuzuordnen.
In zweiter Instanz hatte der Vater mit seiner Klage nun Erfolg. Das Gericht stellte hier insbesondere darauf ab, dass der Vater vor dem Schlag mit der Vase bereits den Notruf gewählt hatte, um ärztliche Hilfe für seinen in diesem Moment tobsüchtigen Sohn herbeizurufen. Demnach ist die Situation laut Gericht dem Bereich der Gesundheitsfürsorge zuzuordnen, die zu der Betreuungstätigkeit des Vaters gehöre. Nach dem in diesem Fall noch anzuwendenden § 1901 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) a.F., der bis Ende 2022 galt, könne die Betreuungstätigkeit nicht auf die Vornahme von Rechtsgeschäften reduziert werden, so das Gericht.
jb/LTO-Redaktion
LSG Sachsen-Anhalt zur gesetzlichen Unfallversicherung: . In: Legal Tribune Online, 31.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55116 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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