Wichtige Urteilsverkündungen der Bundesgerichte sollen künftig auch live im Fernsehen und im Internet zu sehen sein. Aber nur, wenn das Gericht selbst das auch so will. Das Kabinett billigte am Mittwoch sehr gemäßigtes Court-TV.
Das Bundeskabinett hat den von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren beschlossen. So deutsch, wie der Name des Gesetzes klingt, so abwägend und nachdenklich lesen sich seine Gründe, so kompromissbereit und gemäßigt seine Vorschläge, die noch der Zustimmung des Bundestags bedürfen. Wer glaubt, die "Lockerung" des seit 1964 bestehenden Verbots von Fernseh- und Rundfunkaufnahmen in Gerichtssälen in § 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) führe zu ungezügelten oder gar zu den gefürchteten gern zitierten "amerikanischen" Verhältnissen, kann beruhigt aufatmen.
Zukünftig können von Verkündungen der Entscheidungen der Bundesgerichte in besonderen Fällen Ton-, Fernseh-, Rundfunk- und Filmaufnahmen gemacht werden. Das gilt für alle Verfahrensarten, ist also nicht auf Strafverfahren beschränkt. Die Neuregelung in § 169 Abs. 3 GVG ist ausdrücklich als Ermessensregelung ausgestaltet, die Entscheidung liegt also beim Gericht.
Alle Gerichte können in Verfahren, an denen es ein großes öffentliches Interesse gibt, künftig Medienarbeitsräume einrichten. Dort können Pressevertreter der Tonübertragung lauschen, so dass auch diejenigen berichten können, die im Sitzungssaal keinen Platz mehr gefunden haben. Und schließlich erlaubt der vom Kabinett verabschiedete Entwurf es einem Gericht, Verfahren insgesamt aufzuzeichnen, die "von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland" sind.
"Auch im Interesse der Bundesgerichte"
Der Umgang mit modernen Kommunikationsformen lasse ein generelles Verbot nicht mehr zeitgemäß erscheinen, begründete Maas am Montag den Entwurf. Das Gesetz, das er als einen weiteren Schritt zur Modernisierung der Justiz bezeichnete, war keineswegs unumstritten.
Insbesondere seine Hauptakteure, die Richter an den obersten Bundesgerichten, hatten sich im Vorfeld deutlich gegen eine Lockerung des § 169 GVG ausgesprochen. Nicht nur die Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Bettina Limperg, begründete das mit der Furcht der Bundesrichter davor, dass ihre Äußerungen aus dem dem Zusammenhang gerissen oder gar in Satire-Magazinen oder im Netz lächerlich gemacht würden.
Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) konnte die wichtigsten Richter Deutschlands damit nicht überzeugen. Die Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte wirke sich auf das gesellschaftliche Zusammenleben aus, erklärte Maas. "Da kann es nur helfen, wenn das allen interessierten Menschen noch näher gebracht wird, indem sie sich solche Urteilsverkündigungen ansehen können", so der Minister. Deshalb liege eine mediale Vermittlung ihrer Entscheidungen auch im Interesse der höchsten Gerichte, heißt es knapp in der Gesetzesbegründung. Die nimmt gar Bezug auf die besondere Qualifikation und Erfahrung der Bundesrichter. Aber es ist eine äußerst moderate Öffnung.
2/2: Moderate Öffnung: alles bleibt im Ermessen des Gerichts
Eine Öffnung, die sanfte Brücken baut zwischen der medialen Welt des 21. Jahrhunderts und einer Justiz, die sich jahrzehntelang auf die sogenannte Saalöffentlichkeit zurückzog. Maas versicherte: "Wir werden aus dem Gerichtssaal keine Showbühne machen."
Tatsächlich liegt nicht nur jede einzelne Übertragung durch die Medien im Ermessen des Gerichts. Zustimmen können die Gerichte zudem ohnehin nur der Übertragung der Urteilsverkündung, mündliche Verhandlungen oder Ausschnitte davon sind weiterhin von jeder Aufzeichnung ausgeschlossen. Und schließlich sind Gerichte im Sinne der Vorschrift auch keine Instanzgerichte, wo in Beweisaufnahme-Terminen Persönlichkeitsrechte Verfahrensbeteiligter in einem Ausmaß tangiert werden, die mit der reinen Rechtsprüfung der Bundesgerichte nicht vergleichbar ist.
Die Einrichtung eines Medienarbeitsraums kann künftig jedes Gericht vornehmen. Auch hier stellt eine Kann-Vorschrift alles in das Ermessen des Gerichts. Ein solcher Raum bleibt ausschließlich den Presseangehörigen als Vertretern des öffentlichen Interesses vorbehalten, eine bloße Audio-Übertragung soll sicherstellen, dass der Aufwand für den die Sitzung leitenden Richter so klein bleibt wie möglich. Alles bleibt unter dem Vorbehalt der Machbarkeit, also der Sicherstellung eines goerdneten Verfahrensablaufs.
Wer ein historisch bedeutsames Verfahren aufzeichnen lässt - auch darüber entscheidet das Gericht -, tut das ausschließlich für die Geschichte: Die Archive dürfen in der Regel erst 30 Jahre nach dem Tode betroffener Verfahrensbeteiligter geöffnet werden.
"Aber wartet mal auf Jung & naiv"
Die Begründung des Gesetzes basiert auf der Annahme, dass sich einerseits die Anforderungen an den Schutz von Persönlichkeitsrechten durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhöht, sich andererseits aber auch die Selbstverpflichtungen der journalistischen Berichterstattung in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt hätten.
Sicher ist man sich da wohl selbst innerhalb der Presse nicht. Die Justizpressekonferenz, ein Zusammenschluss von Rechtsjournalisten von Online über Print bis Rundfunk, hatte sich im Vorfeld klar für eine Lockerung des § 169 GVG ausgesprochen. ARD-Rechtsexperte Dr. Frank Bräutigam twitterte am Mittwoch: "Wir werden verantwortungsbewusst mit der 'sanften Öffnung' umgehen." Aber er bekam auch eine Antwort, die den Bundesrichtern aus dem Herzen sprechen dürfte, die sich gegen die Öffnung positioniert hatten: Prof. Joachim Jahn, nach langen Jahren als FAZ-Redakteur seit kurzem bei der Neuen Juristischen Wochenschrift tätig, twitterte "Ihr schon. Aber wartet mal auf "Jung & naiv", die heute-Show und die privaten Krawallmagazine".
Also doch amerikanische Verhältnisse? Wie locker selbst Satire-Magazine die in aller Regel nicht gerade zur Feierabendunterhaltung taugenden Urteilsverkündungen von Bundesgerichten gestalten könnten, darf man sich sicherlich fragen. Diese Gefahr ist zudem mit der auch nach der Lockerung des § 169 GVG weiterhin erforderlichen Zustimmung des Gerichts praktisch auf null reduziert. Und schließlich zeigt ein Blick nicht erst auf den Europäischen Gerichtshof, sondern schon auf das Bundesverfassungsgericht, dass es offenbar der Achtung der Justiz nicht nur nicht geschadet, sondern im Gegenteil sehr geholfen hat, wichtige Entscheidungen im Fernsehen zu übertragen. Von amerikanischen TV-Schlachten jedenfalls sind die heute eingeläuteten Veränderungen in etwa so weit entfernt wie Karlsruhe von New York.
Mit Materialien von dpa
Pia Lorenz, Kabinett beschließt Gesetz: Ein kleines bisschen Gerichtsfernsehen . In: Legal Tribune Online, 31.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20431/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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