"Ich stoße mich daran, dass kleine Richterlein sich hinstellen und wie gerade in Niedersachsen 2G im Einzelhandel kippen", sagte der Ärztevertreter Frank Ulrich Montgomery. Für seine Äußerungen bekommt er nicht nur aus der Justiz Kritik.
Bundesjustizminister Marco Buschmann und der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und -richterinnen haben die Kritik an der Justiz wegen Entscheidungen zu Corona-Regeln zurückgewiesen. "Deutschland kann stolz sein auf seine hervorragend qualifizierte und unabhängige Richterschaft. Sie öffnet den Zugang zum Recht und erweckt die Idee des Rechtsstaats zum Leben", schrieb der FDP-Politiker am Sonntagabend auf Twitter. "Daher verdient sie Respekt - und zwar unabhängig davon, ob dem Betrachter jede Entscheidung gefällt", fügte Buschmann hinzu.
Zuvor hatte der Präsident des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, Richterinnen und Richter für einige Entscheidungen zu Corona-Regeln kritisiert. "Ich stoße mich daran, dass kleine Richterlein sich hinstellen und wie gerade in Niedersachsen 2G im Einzelhandel kippen, weil sie es nicht für verhältnismäßig halten", sagte Montgomery der Welt (Online Sonntag/Print Montag). Da maße sich ein Gericht an, etwas, das sich wissenschaftliche und politische Gremien mühsam abgerungen hätten, mit Verweis auf die Verhältnismäßigkeit zu verwerfen. "Da habe ich große Probleme. Es gibt Situationen, in denen es richtig ist, die Freiheitsrechte hinter das Recht auf körperliche Gesundheit - nicht nur der eigenen Person, sondern Aller - einzureihen. Und eine solche Situation haben wir", betonte der Ärztevertreter.
"Rechtliche Einschätzungen aus der medizinischen Wissenschaft sind weder angezeigt noch hilfreich"
Dr. Robert Seegmüller, Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und -richterinnen, kritisiert die Interviewäußerungen am Montag als "in der Sache unqualifiziert und im Ton unangemessen." Montgomery verkenne die Funktion der Gerichte bei der Kontrolle staatlicher Hoheitsakte grundsätzlich. Die Gerichte kontrollierten auf entsprechende Anträge hin, ob ein Grundrechtsrechtseingriff verhältnismäßig sei. Der medizinischen Wissenschaft obliege es insoweit allein, die für diese Prüfung erforderlichen Tatsachen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zuzuliefern. "Rechtliche Einschätzungen aus der medizinischen Wissenschaft sind dagegen weder angezeigt noch hilfreich."
Der Ärztevertreter störte sich daneben an den gerichtlichen Eilentscheidungen. "Sie könnten das als Anmaßung betrachten, aber ich halte diese Regeln, die in endlos langen wissenschaftlichen und politischen Prozessen entwickelt werden, für tiefergehender als ein Gerichtsurteil, das im Eilverfahren entschieden wird", sagte Montgomery.
Hierzu erklärt Seegmüller, dass Entscheidungen im gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren regelmäßig nach Anhörung beider Seiten und nach gründlicher Prüfung des Falles ergingen. Diese unterscheide sich von der gerichtlichen Prüfung im Hauptsacheverfahren zumeist nur dadurch, dass keine Beweisaufnahme stattfinde.
"Ausführung lassen den gebotenen Respekt […] vermissen"
Insgesamt vermisst der Vertreter der Verwaltungsrichter und -richterinnen bei den Aussagen Montgomerys den gebotenen Respekt vor gerichtlichen Entscheidungen und den Menschen, die sie zu treffen hätten. Der Diminuitiv im Zusammenhang mit der Berufsbezeichnung Richter sei zu unterlassen und Richterinnen und Richter stellten sich auch nicht hin und kippten Regelungen, heißt es in der Mitteilung, die mit den Worten schließt: "Die einzige Anmaßung in diesem Zusammenhang sind die Äußerungen Montgomerys."
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) hatte am 16. Dezember die 2G-Regel im Einzelhandel des Bundeslandes außer Vollzug gesetzt. Die Maßnahme sei zur weiteren Eindämmung des Coronavirus nicht notwendig und auch nicht mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz vereinbar, entschied das Gericht. Unter anderem beanstandete der Senat, dass verlässliche und nachvollziehbare Feststellungen zum tatsächlichen Infektionsrisiko im Einzelhandel fehlten. Zudem könnte der Staat Kunden auch im Einzelhandel verpflichten, eine FFP2-Maske zu tragen. Dies würde das Infektionsrisiko derart absenken, "dass es nahezu vernachlässigt werden könne", erklärte das Gericht.
Bund und Länder hatten am 2. Dezember beschlossen, dass bundesweit und unabhängig von der Inzidenz 2G im Einzelhandel gelten solle. Ausnahmen von der 2G-Regel gelten für Geschäfte des täglichen Bedarfs, also etwa Supermärkte und Drogerien. Mehrere andere OVG hatten 2G im Einzelhandel im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bestätigt und entsprechende Eilanträge abgelehnt.
mgö/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
Reaktionen auf Montgomery-Kritik: . In: Legal Tribune Online, 27.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47046 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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