Der Internationale Strafgerichtshof hat im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg Haftbefehle gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie die russische Kommissarin für Kinderrechte, Maria Aleksejewna Lwowa-Belowa, erlassen. Was bedeutet das?
Nach einem Bericht der New York Times kursierte in dieser Woche die Nachricht, dass der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Anklagen gegen russische Offizielle vorbereitet und Haftbefehle erlassen will. Nachdem der IStGH sich zunächst nicht dazu äußerte, kam am Freitag dann die Bestätigung: Die Vorverfahrenskammer hat Haftbefehle gegen Russlands Präsidenten Wladimir Wladimirowitsch Putin sowie die Kinderrechtskommissarin Maria Aleksejewna Lwowa-Belowa erlassen. Es ist erst das zweite Mal, dass der IStGH einen Haftbefehl gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt erlässt, zuerst traf es 2009 den sudanesischen Machthaber Omar Al-Bashir.
Der Haftbefehl vom IStGH unterscheidet sich in der Grundstruktur seiner Voraussetzungen nicht wesentlich von dem Haftbefehl nach der deutschen Strafprozessordnung (StPO). Nach Art. 58 Abs. 1 des Römischen Status des Internationalen Strafgerichtshofs (Rom-Statut) kann die Vorverfahrenskammer auf Antrag des Anklägers einen Haftbefehl gegen eine Person erlassen, wenn begründeter Verdacht besteht, dass diese ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begangen hat. Zudem muss die Festnahme notwendig erscheinen, um sicherzustellen, dass die Person zur Verhandlung erscheint, die Ermittlungen nicht behindert oder gefährdet oder um sie an der Begehung weiterer Verbrechen zu hindern. Zur Vollstreckung des Haftbefehls kann der IStGH grundsätzlich auf die über 120 Staaten vertrauen, die das Rom-Statut unterzeichnet haben.
Nach Art. 5 Rom-Statut erstreckt sich die Zuständigkeit des IStGH auf die Verbrechen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression, die jeweils in unterschiedlichen Ausprägungen vorliegen können.
Verschleppung ukrainischer Kinder
Putin und Lvova-Belova sollen für das Kriegsverbrechen der rechtswidrigen Vertreibung bzw. Überführung der Bevölkerung aus den besetzten Gebieten der Ukraine in die Russische Föderation verantwortlich sein, Art. 8 Abs. 2 lit. a Ziff. vii sowie Art. 8 Abs. 2 lit. b Ziff. viii Rom-Statut. Die Taten sollen zum Nachteil ukrainischer Kinder begangen worden sein.
Die Verbrechen sollen "zumindest ab dem 24. Februar 2022", dem Beginn des Angriffskrieges, in den besetzten ukrainischen Gebieten begangen worden sein. Ähnlich der Regelung im deutschen Strafrecht muss man die Tat nicht eigenhändig begehen. Die Zurechnungsnorm des Art. 25 Abs. 3 Rom-Statut sieht sowohl Formen der Anstiftung als auch eine Art mittelbare Täterschaft vor. Nach diesen Maßstäben sollen Putin und Lvova-Belova für die genannten Verbrechen verantwortlich sein. Es gebe hinreichende Gründe für die Annahme, dass beide die Handlungen unmittelbar, gemeinsam mit anderen und/oder durch andere begangen haben. Als militärischer Befehlshaber sei Putin zudem nach Art. 28 lit. b Rom-Statut verantwortlich.
"Die Haftbefehle sind ein starkes Signal, aber auch nur ein erstes", sagt der Völkerstrafrechtler Christoph Safferling im Gespräch mit LTO. "Die Vorwürfe stellen nur einen Ausschnitt der mutmaßlich begangenen Kriegsverbrechen in der Ukraine dar, Angriffe gegen zivile Infrastruktur oder gezielte Tötung von Zivilisten bleiben derzeit noch außen vor", so Safferling, der an der Universität Erlangen-Nürnberg einen Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht innehat.
Warum stützen sich die Haftbefehle ausgerechnet auf den Verschleppungsvorwurf? "Der Verschleppungsvorwurf ist scheinbar aus Sicht des Chefanklägers bereits handfest beweisbar", ordnet Safferling ein. Für ihn stehen die Haftbefehle des IStGH aber in einem größeren Zusammenhang.
Völkerstrafrechtler: "Der IStGH schafft Fakten - auch in Diskussion um Sondertribunal"
"Der IStGH schafft mit den Haftbefehlen Fakten in der Diskussion um ein Sondertribunal für das Verbrechen des Aggressionskrieg, das der IStGH nicht in seiner Zuständigkeit verfolgen kann." Mit den Haftbefehlen habe sich der Gerichtshof nun eine Position gesichert und fordere Kompetenzen ein.
Aber ein Haftbefehl bleibt ein Haftbefehl - bei aller politischer Symbolik. "Die Haftbefehle haben starken symbolischen Wert, sie sind aber nun auch in der Welt und müssen für Putin eine Warnung sein", sagt Safferling. "Auch ein Staat wie China könnte irgendwann sagen, wir setzen diesen Haftbefehl aus eigener Überzeugung durch."
Dabei spielen aus Sicht Safferlings Immunitätserwägungen zum Schutz von Staatsoberhäuptern keine Rolle. Der Gerichtshof sei gerade auch geschaffen worden, um gegebenfalls sie anzuklagen. Die Kooperation von Nichtmitgliedstaaten ist dann eher ein Problem der nationalen Verfassungen dieser Staaten. "Meines Erachtens wäre eine Festnahme und Überstellung an den IStGH mit Völkerrecht vereinbar", so Safferling gegenüber LTO.
Haftbefehle kurz vor europäischem Justiz-Treffen veröffentlicht
Zunächst sollten die Haftbefehle geheim gehalten werden, um Opfer und Zeugen zu schützen und die Ermittlungen zu sichern, heißt es in einer Pressemitteilung des IStGH. Da die Verbrechen aber noch andauerten und die öffentliche Bekanntmachung der Haftbefehle dazu beitragen könne, die Begehung weiterer Straftaten zu verhindern, habe man sich aber dazu entschlossen, sie zu veröffentlichen.
Bereits kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat der IStGH Ermittlungen gegen Russland aufgenommen. Zuletzt war zu vernehmen, dass der Druck nach einem Jahr ohne Haftbefehle oder Maßnahmen aus Den Haag auf den Chefankläger beim IStGH, den britischen Juristen Karim Khan, zugenommen habe. Am Montag trifft sich Khan in London mit den europäischen Justizministern, es geht um Kriegsverbrechen in der Ukraine. An dem Treffen wird auch der Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) teilnehmen. Steht die Veröffentlichung der Haftbefehle aus Den Haag kurz vor dem Treffen in einem Zusammenhang? Immerhin stammten die Haftbefehle laut Pressemitteilung schon vom 22. Februar.
Auf der Konferenz in London will Khan wohl um frisches Geld und Unterstützung für die Ermittlungen werben. Eine Ladung ausgefertigter Haftbefehle gegen prominente Personen der russischen Führung in der Tasche sind dann möglicherweise als Arbeitsnachweis ein Argument.
IStGH zu Russlands Angriffskrieg in der Ukraine: . In: Legal Tribune Online, 17.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51343 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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