Im Bundestag und Bundesrat stimmte eine Mehrheit für die umstrittene Reform des Infektionsschutzgesetzes, um die Corona-Maßnahmen künftig auf eine neue rechtliche Grundlage zu stellen.
Der Bundestag hat den Weg für die von der großen Koalition geplanten Änderungen im Infektionsschutzgesetz (IfSG) freigemacht. 415 Abgeordnete stimmten am Mittwoch für die Reform, um die Corona-Maßnahmen künftig auf eine präzisere rechtliche Grundlage zu stellen. 236 stimmten dagegen, 8 enthielten sich bei der namentlichen Abstimmung. Anschließend hat auch der Bundesrat die Reform des IfSG passieren lassen. Damit kann das Gesetz nach Ausfertigung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Kraft treten.
Bei Protesten mehrerer Tausend Teilnehmer gegen die Gesetzesänderung und die staatliche Corona-Politik in der Nähe des Bundestages kam es parallel zur Debatte im Parlament zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und auch zum Einsatz von Wasserwerfern. Die Polizei sprach zudem von mehr als 100 Festnahmen.
Ein umstrittenes Vorhaben
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verteidigte in der Debatte die Corona-Beschränkungen und warb um weiteres Vertrauen in das Krisenmanagement. Steigende Infektionszahlen führten früher oder später zu steigendem Leid auf den Intensivstationen und zu einem Kontrollverlust, sagte der CDU-Politiker. Die SPD-Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas wies Befürchtungen zurück, dass mit der Reform des IfSG Befugnisse für Bundes- und Landesregierungen ausgeweitet würden. "Genau das Gegenteil ist der Fall", sagte sie.
Zum Auftakt der Debatte hatte die AfD zunächst versucht, das Thema wieder von der Tagesordnung zu nehmen, scheiterte damit aber am geschlossenen Widerstand der anderen Fraktionen. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, sagte: "Die heutige Gesetzesvorlage ist eine Ermächtigung der Regierung, wie es das seit geschichtlichen Zeiten nicht mehr gab". Abgeordnete der anderen Fraktionen wiesen die Vorwürfe zurück. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, sagte, die AfD spiele mit dem Vergleich mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933. "Sie diskreditieren nicht nur unsere Demokratie, sondern sie machen sie verächtlich."
Redner von FDP, Grünen und Linkspartei kritisierten die Reform des IfSG heftig. Die geplanten Neuregelungen gäben den Regierungen keine Leitplanken vor, sondern stellten ihnen "einen Freifahrtschein" aus, sagte etwa FDP-Fraktionschef Christian Lindner. Es sei eine demokratische Grundsatzfrage, dass niemals Regierungen allein über solche massiven Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte entscheiden dürften, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte.
Gesetz soll Maßnahmen konkretisieren
Ziel des Gesetzes - offiziell "drittes Bevölkerungsschutzgesetz" - ist es unter anderem, bislang per Verordnung erlassene Corona-Maßnahmen gesetzlich zu untermauern und konkret festzuschreiben. Im IfSG war bisher nur allgemein von "notwendigen Schutzmaßnahmen" die Rede, die die "zuständige Behörde" treffen kann. Mit der Gesetzesnovelle wird ein neuer Paragraph eingefügt, der die möglichen Schutzmaßnahmen von Landesregierungen und Behörden konkret auflistet, etwa Abstandsgebote, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen oder Beschränkungen im Kultur- und Freizeitbereich - im wesentlichen Maßnahmen, die bereits beim Lockdown im Frühjahr ergriffen wurden und teilweise auch jetzt beim Teil-Lockdown im November gelten.
Festgeschrieben im Gesetz wird auch die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz von 35 und 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche, ab denen Schutzmaßnahmen getroffen werden sollen. Vorgeschrieben wird zudem, dass Rechtsverordnungen mit Corona-Schutzmaßnahmen zeitlich befristet werden. Verlängerungen sind aber möglich. Außerdem müssen die Verordnungen mit einer Begründung versehen werden.
Das IfSG war im Zuge der Corona-Pandemie schon mehrfach reformiert worden. Gleich zu Beginn im Frühjahr wurde eingeführt, dass der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellen kann. Der Bundestag tat dies damals umgehend und gab damit dem Bundesgesundheitsministerium Sonderbefugnisse, um Rechtsverordnungen zu erlassen, ohne dass der Bundesrat zustimmen muss.
dpa/vbr/LTO-Redaktion
Gesetzgebung im Eiltempo: . In: Legal Tribune Online, 18.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43475 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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