Leerstehende Gewerbe-Immobilien können in Hamburg von kommender Woche an beschlagnahmt werden, um in ihnen Flüchtlinge unterzubringen. Die Bürgerschaft hat ein entsprechendes Gesetz verabschiedet.
Hamburg macht ernst: Voraussichtlich schon von kommender Woche an können in der Hansestadt leerstehende Immobilien zur Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmt werden. Die Bürgerschaft verabschiedete am Donnerstag in zweiter und letzter Lesung mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken das umstrittene "Gesetz zur Sicherung der Flüchtlingsunterbringung in Einrichtungen".
Wie das in der Praxis aussehen könnte, hatte Innensenator Michael Neumann (SPD) bereits am Mittwochabend demonstriert. Damit nicht wieder Hunderte Flüchtlinge die Nacht im Freien verbringen müssen, ließ er eine leerstehende Tennishalle aufbrechen. Im Parlament sagte er dazu: "Ich habe (...) die Entscheidung getroffen, und ich würde sie auch wieder treffen." Aus Sicht von CDU und FDP hat er damit jedoch eine Grenze überschritten.
Hamburgs Behörden konnten schon in der Vergangenheit Unterkünfte für Flüchtlinge nach dem Polizeirecht zur Abwehr einer Gefahr in Beschlag nehmen. Allerdings war dies wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur schwer und vor allem nicht innerhalb kurzer Zeit durchsetzbar. Dies ist nun anders. So heißt es im Gesetz: "Die zuständige Behörde kann zum Zwecke der Unterbringung von Flüchtlingen (...) Grundstücke und Gebäude sowie Teile davon sicherstellen." Widersprüche oder Anfechtungsklagen seien zwar möglich. Doch hätten diese keine aufschiebende Wirkung.
30.000 Flüchtlinge in der Hansestadt
Trotz der Formulierung seien Privatwohnungen ausdrücklich nicht von dem auf März 2017 befristeten Gesetz betroffen, so der rot-grüne Senat. Es gehe nur um große Hallen, in denen viele Menschen unterkommen könnten. Nach Angaben der Innenbehörde erreichen derzeit täglich 400 bis 500 neue Flüchtlinge die Hansestadt. Gab es zu Beginn des Jahres noch 3.500 Plätze in der Erstaufnahme, seien es nun bereits 14.000. Insgesamt befinden sich laut Innenbehörde derzeit etwa 30.000 Flüchtlinge in der Stadt.
Innensenator Neumann erklärte sein gewaltsames Eindringen in die Tennishalle damit, dass der Eigentümer, mit dem man sich über den Verkauf der Halle bereits weitgehend handelseinig gewesen sei, nicht zu erreichen war. "Ich habe deshalb entschieden, dass wir uns Zugang zu dieser Halle verschaffen, um Obdachlosigkeit abzuwenden", sagte Neumann. Mittlerweile sei der Kaufvertrag unterschrieben. "Der Eigentümer ist auch froh darüber, dass wir handelseinig geworden sind, zeigt sich auch mit allem einverstanden, was (...) dort passiert ist."
Dass die Halle letztlich gar nicht gebraucht wurde, begründete Neumann damit, dass sich dann doch andere Möglichkeiten aufgetan hätten und die Zahl neu eintreffender Flüchtlinge gesunken sei. Nach Angaben der Innenbehörde sollte die ehemalige Tennishalle noch am Donnerstagabend in Betrieb genommen werden. Bis zu 800 Menschen hätten dort Platz, sagte Björn Domroese, Büroleiter des Innensenators, der Deutschen Presse-Agentur.
Die CDU-Opposition sprach in Bezug auf die Tennishalle von einem ungeheuerlichen Vorgang. "Ohne eine gesetzliche Grundlage zu haben, verschaffen Sie sich widerrechtlich Zutritt in die Räume eines Privaten und lassen in Rambo-Manier durch die Feuerwehr eine private Tennishalle aufbrechen, bei der Sie hinterher feststellen müssen, dass sie sie zur Abwehr einer Gefahrenlage gar nicht benötigen", sagte Fraktionsvize Karin Prien.
Dem Innensenator zur Seite sprangen dagegen Grüne und Linke. Die Tennishalle öffnen zu lassen sei richtig gewesen, sagte die Linken-Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir - und fügte an: "Es gibt Tausende Menschen in der Stadt, die nicht nur an die Rechtsordnung glauben, sondern auch an die Menschlichkeit." Ihr Grünen-Kollege Anjes Tjarks verwies darauf, dass allein im September wohl 9.000 Flüchtlinge nach Hamburg gekommen seien. Er habe den Eindruck, dass einige immer noch nicht verstanden haben, was derzeit wirklich wichtig ist.
Sozialverband fordert Beschlagnahme auch von Büroflächen
Hamburgs Sozialverband forderte unterdessen, dass nicht nur leerstehende Hallen, sondern auch Büros beschlagnahmt werden sollen. "In Hamburg stehen 1,2 Millionen Quadratmeter Büroflächen leer", erklärte Sozialverbandschef Klaus Wicher. Würden sie sämtlich genutzt, müsste kein Flüchtling draußen übernachten. Wicher wies auch darauf hin, dass wohl viele Familienangehöre den jetzt angekommenen Flüchtlingen folgen werden. "Das sind oft Kinder und Ehefrauen." Eine Massenunterbringung wie in einem ehemaligen Baumarkt in Bergedorf sei für sie nicht hinnehmbar.
Genau dorthin sowie in eine Erstaufnahmeeinrichtung in Rahlstedt musste die Polizei in der Nacht zum Donnerstag ausrücken. Bei mehreren Schlägereien waren ein Afghane, zwei Syrer und ein Sicherheitsdienst-Mitarbeiter verletzt worden. In Rahlstedt gingen nach einem Streit um ein Mobiltelefon mehrere Bewohner mit Holzlatten und Besenstielen aufeinander los. Fünf Personen wurden vorläufig festgenommen.
In Bergedorf waren zunächst drei Bewohner in Streit geraten, andere solidarisierten sich mit ihnen und es kam zu Prügeleien. Wenige Stunden später musste die Polizei dann erneut zu dem ehemaligen Baumarkt ausrücken, weil sich zwei Gruppen von je 50 Bewohnern mit Schlagwerkzeugen bewaffnet hätten. Acht Bewohner wurden vorläufig festgenommen.
dpa/mbr/LTO-Redaktion
Flüchtlingsunterbringung: . In: Legal Tribune Online, 02.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17085 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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