Das Verbot der Doppelbestrafung ist auch auf Verwaltungssanktionen strafrechtlicher Natur anwendbar. Das entschied der EuGH am Donnerstag und bewahrt den VW-Konzern so davor, weitere fünf Millionen Euro an Italien zahlen zu müssen.
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat den VW-Konzern mit seinem Urteil vom Donnerstag vor einer Geldbuße bewahrt (Urt. v. 14.09.2023, Az. C-27/22). Der Grundsatz des Verbots der Doppelbestrafung "ne bis in idem" (wörtlich: nicht zweimal in der gleichen Sache) sei auch auf Verwaltungssanktionen anwendbar, die wegen unlauterer Geschäftspraktiken verhängt wurden, so der Gerichtshof.
2016 hatte die italienische Wettbewerbsbehörde eine Gelbuße in Höhe von fünf Millionen Euro gegen VW verhängt. Grund dafür war unter anderem das Inverkehrbringen der mit der manipulierten Schadstoffsoftware ausgestatteten Fahrzeuge. Diese Entscheidung wurde von VW vor dem Regionalen Verwaltungsgericht in Italien angefochten.
Zwischenzeitlich hatte VW auch in Deutschland eine Geldbuße in Höhe von einer Milliarde Euro kassiert, ebenfalls wegen des Einbaus und Inverkehrbringens der Schadstoff-Software. Hiergegen wehrte sich VW nicht und beglich die geforderte Summe. Allerdings war damit nach Ansicht des Konzerns nun die italienische Entscheidung rechtswidrig. Das Argument: Der in Art. 50 der EU-Grundrechtecharta (GRCh) verankterte Grundsatz "ne bis in idem" verbiete die doppelte Bestrafung des Konzerns wegen derselben Tat.
Zielsetzung und Schweregrad geben Verwaltungssanktionen strafrechtlichen Charakter
Auf die Anfrage des italienischen Staatsrates, ob der Grundsatz auch in diesem Fall anwendbar sei, antwortete der EuGH nun: Ja, denn die verhängten Sanktionen sind als Verwaltungssanktionen strafrechtlicher Natur einzustufen. Seine Entscheidung begründet der Gerichtshof mit der repressiven Zielsetzung und dem hohen Schweregrad der Verwaltungssanktionen.
Zusätzlich stellt der EuGH klar, dass der Grundsatz "ne bis in idem" daher auch nationalen Regelungen entgegenstehe, die eine verhängte Geldbuße aufrechterhalten, selbst wenn dieselbe Tat in einem anderen Mitgliedsstaat bereits bestraft wurde. Es käme aber nicht darauf an, welche Geldbuße zuerst verhängt, sondern welche Strafe zuerst rechtskräftig wurde. Denn sobald eine endgültige Entscheidung vorliege, könne keine Strafverfolgung mehr eingeleitet oder aufrechterhalten werden.
Einschränkung des Grundsatzes durch kumulierte Verfahren möglich
Nichtsdestotrotz lässt der EuGH auch Einschränkungen des Grundsatzes zu. Die Kumulierung von Verfahren oder Sanktionen käme dann in Frage, wenn sie erstens keine übermäßige Belastung darstellt, zweitens klar vorhersehbar ist, bei welchen Handlungen sie in Betracht kommt, und drittens die Verfahren koordiniert und in einem engen zeitlichen Zusammenhang geführt wurden.
Im Fall VW ist es zu einer solchen Kumulierung aber nicht gekommen. VW hat damit zwar im Ergebnis die deutlich höhere Geldbuße in Deutschland beglichen, von weiteren Sanktionen auf Basis derselben Vorwürfe bleibt der Konzern damit aber nach der Rechtsprechung des EuGH für die Zukunft verschont.
lmb/LTO-Redaktion
EuGH zu Sanktionen seitens der Verwaltung: . In: Legal Tribune Online, 14.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52702 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag