Im Frühjahr 2020 war die Überstellung von Asylbewerbern nach Italien aufgrund der Corona-Pandemie praktisch unmöglich. Die sechsmonatige Frist zur Überstellung lief trotzdem, so der EuGH. Nach Ablauf der Frist sei Deutschland zuständig.
Die sechsmonatige Überstellungsfrist von Asylbewerbern an den zuständigen Mitgliedstaat gemäß der Dublin-III-Verordnung wird nicht unterbrochen, wenn die Durchführung der Überstellung aufgrund der Corona-Pandemie ausgesetzt wird. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag in einem Fall aus Deutschland entschieden (Urt. v. 22.09.2022, Az. C-245/21 und C-248-21).
Drei Asylbewerber hatten im Jahr 2019 Asyl in Deutschland beantragt. Sie waren zuvor über Italien in die EU gekommen und hatten dort Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die zuständigen deutschen Behörden ersuchten die italienischen Behörden auf Grundlage der Dublin-III-Verordnung um Aufnahme der Asylbewerber. Anschließend lehnten sie die Asylanträge als unzulässig ab und ordneten die Abschiebung nach Italien an.
Zu der Abschiebung kam es aber nicht, da Italien im Februar 2020 wegen der Corona-Pandemie keine Asylbewerber mehr annahm. Die deutschen Behörden setzten die Durchführung der Abschiebung daraufhin bis auf Weiteres mit der Begründung aus, dass eine Überstellung in Anbetracht der Pandemie nicht möglich sei.
EuGH: Frist lief trotz Abschiebungspause
Das Verwaltungsgericht (VG) hob die Entscheidungen, mit denen die Behörde die Asylanträge abgelehnt und die Abschiebung angeordnet hatte, dann im Juni und August 2020 auf. Die Zuständigkeit für die Prüfung der Asylanträge sei auf Deutschland übergegangen, weil die Überstellungsfrist nach der Dublin-III-Verordnung abgelaufen sei, so das VG. Die Frist sei durch die Aussetzungsentscheidung auch nicht unterbrochen worden. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) legte den Fall dann dem EuGH vor.
Der EuGH bestätigte die Entscheidung des VG und stellte klar, dass die Frist trotz der vorübergehenden Abschiebungspause lief und nicht ausgesetzt war. Die Dublin-III-Verordnung solle gewährleisten, dass die betroffene Person so schnell wie möglich an den für die Prüfung des Antrags zuständigen Mitgliedstaat überstellt wird.
Die Aussetzung der Überstellung aus einem Grund, der nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem gerichtlichen Rechtsschutz der betroffenen Person steht, berge die Gefahr, der Überstellungsfrist jegliche Wirksamkeit zu nehmen und die Bearbeitung der Anträge dauerhaft in die Länge zu ziehen, entschied der EuGH.
Asylrechtler: "BAMF hat Verfahren unnötig in die Länge gezogen"
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl begrüßte das Urteil. "Das ist ein wichtiges Urteil für den Flüchtlingsschutz in Europa, das den Betroffenen Rechtssicherheit gibt", sagte Wiebke Judith, Leiterin des Teams Recht & Advocacy bei der NGO. Das Gericht hätte sichergestellt, dass ein Land nicht nach Belieben Fristen zur Überstellung von Geflüchteten in ein anderes EU-Land aussetzen dürfe. "Die betroffenen Menschen müssen jetzt endlich in Deutschland ein inhaltliches Asylverfahren bekommen", sagte Judith.
Der Leipziger Asylrechtler Dr. Matthias Lehnert kritisiert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gegenüber LTO dafür, überhaupt an einer Fristaussetzung festgehalten zu haben. "Nach der Dublin-III-Verordnung können nur Rechtsmittel oder Überprüfungen durch das BAMF gegen die Überstellungsentscheidung zu einer Aussetzung der Frist führen, wenn also zweifelhaft ist, ob die Entscheidung rechtmäßig ist - nicht jedoch tatsächliche und zeitlich befristete Umstände wie eine Pandemie, für die die Betroffenen nichts können", so Lehnert. "Dadurch, dass das BAMF entgegen vieler Stimmen aus der Wissenschaft und der Gerichte an der Fristaussetzung festgehalten habe, sind die Verfahren von ca. 9.000 Antragstellerinnen und Antragsstellern unnötig in die Länge gezogen worden. Sie warten immer noch auf eine Entscheidung."
acr/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
EuGH zur Frist bei Überstellung von Asylbewerbern: . In: Legal Tribune Online, 22.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49708 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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