Die polnische Justizreform aus dem Jahr 2019 verstößt gegen EU-Recht, die Unabhängigkeit der nationalen Richter sei weiterhin nicht gewährleistet, so der EuGH, der Polen in seiner Entscheidung vom Montag ordentlich rüffelt.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat erneut über die polnische Justizreform geurteilt, die die dortige Regierung seit Jahren vorantreibt. Demnach verstoßen die polnischen Regelungen gegen EU-Recht (Urt. v. 05.06.2023, Az. C-204/21).
Seine Entscheidung leitet das Gericht mit deutlichen Worten ein: "Der Wert der Rechtsstaatlichkeit gibt der Union als Rechtsgemeinschaft schlechthin ihr Gepräge und schlägt sich in Grundsätzen nieder, die rechtlich bindende Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten enthalten". Von diesen Verpflichtungen könnten sich die Mitgliedstaaten nicht unter Berufung auf innerstaatliche Bestimmungen oder Rechtsprechung lossagen.
Polens nationalkonservative PiS-Regierung baut die dortige Justiz seit Jahren ungeachtet internationaler Kritik um. Die EU-Kommission klagt und klagt noch immer mehrfach gegen die Reformen. Weil Warschau sich bisher weigerte, EuGH-Urteile umzusetzen, verhängte der Gerichtshof schließlich eine Million Euro Zwangsgeld pro Tag. Die Strafe wurde im Frühjahr halbiert, weil die Regierung inzwischen einige Änderungen am Justizsystem vorgenommen hat.
Im aktuellen Streit ging es unter anderem um ein Gesetz zur Disziplinierung von Richtern. Mit dem Urteil gibt der EuGH der Klage der Kommission gegen die polnische Justizreform statt.
Richterliche Unabhängigkeit weiterhin nicht gewährleistet
Der EuGH bekräftigte in dem Urteil seine vorherige Rechtsprechung, mit der er bereits zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Disziplinarkammer am Obersten Gericht in Polen die Anforderungen an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht erfüllt. Schon die bloße Aussicht auf disziplinarrechtliche Konsequenzen bei Anwendung des Unionsrechts könne bereits die Unabhängigkeit der nationalen Richter gefährden. Polen stimmte daraufhin der Abschaffung der Kammer zu.
Die Bestimmungen des Gesetzes seien derart weit und ungenau, dass sie dahingehend ausgelegt werden könnten, dass nationale Gerichte daran gehindert werden sollen, ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH anzustreben. So würde der Zugang zu einem unparteiischen, unabhängigen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht vereitelt.
"Monopolistische Kontrolle" schwächt wirksamen Rechtsschutz
Einen weiteren Verstoß gegen das Unionsrecht sah der EuGH darin, dass nur ein einziges nationales Gericht dafür zuständig ist, zu überprüfen, ob die Anforderungen an einen wirksamen Rechtsschutz erfüllt sind. Diese "monopolistische Kontrolle" trage dazu bei, das Grundrecht auf wirksamen Rechtsschutz weiter zu schwächen. Überprüft ein anderes nationales Gericht die Beachtung von EU-Recht, könne das nach den Bestimmungen des polnischen Änderungsgesetzes als Disziplinarverfahren eingestuft werden.
Zudem sah das Gesetz vor, dass polnische Richter eine schriftliche Erklärung mit Angaben zu ihrer etwaigen Mitgliedschaft in Vereinen, Stiftungen ohne Gewinnzweck oder politischen Parteien abgeben mussten. Diese Angaben sollten im Internet veröffentlicht werden. Dadurch sollte erreicht werden, dass die Richter unparteilicher werden. Diese Bestimmungen verstoßen gegen die Grundrechte der betroffenen Richter auf Schutz personenbezogener Daten und Achtung des Privatlebens, so der EuGH am Montag. Aus den Angaben könnten die religiösen, politischen oder weltanschaulichen Überzeugungen der Richter abgeleitet werden. Würden diese frei verfügbar gemacht werden, seien die Richter der Gefahr einer unzulässigen Stigmatisierung ausgesetzt.
lmb/LTO-Redaktion
mit Materialen der dpa
EuGH zur Rechtsstaatlichkeit: . In: Legal Tribune Online, 05.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51920 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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