In Polen hatte ein Gericht Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Richters, der noch zur Zeit des Kommunismus ernannt worden war. Der zuständige Generalanwalt des EuGH hat aber keine Bedenken.
Bei Richterinnen und Richtern, die vor 1989 im kommunistischen Polen ins Amt kamen, gibt es keine generellen Zweifel an ihrer Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Das befand der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Michael Bobek in seinen Schlussanträgen zu einem laufenden Verfahren (Rs. C-132/20).
In diesem konkreten Fall hatte Polens Oberster Gerichtshof, der sich mit dem Urteil eines Berufsgerichts in Breslau befasste, den EuGH angerufen. Er wollte wissen, ob die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Kammer des Berufsgerichts gegeben ist, wenn einer ihrer Richter noch zu kommunistischer Zeit ernannt worden ist. Diesbezüglich gebe es auch Zweifel bei den übrigen Richterinnen und Richtern der Kammer: Diese seien von dem höchst umstrittenen Landesjustizrat nach Regeln ernannt worden, die später vom polnischen Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erklärt wurden.
Bobek zufolge liegt in dem Fall des Richters des Berufsgerichts, der das Urteil erlassen hat, jedoch kein Verstoß gegen den in Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 GrCh verankerten Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit vor. Die bloße Tatsache, dass einige Richter erstmals zu kommunistischen Zeiten in ein richterliches Amt berufen worden seien, sei für sich genommen kein Faktor, der ihre Unabhängigkeit heute in Frage stellen könne. Laut Pressemitteilung äußert der Generalanwalt seine "Verwunderung" darüber, wie die genannten Vorschriften und Maßstäbe auf eine Richterernennung aus dem Jahr 1989 angewendet werden könnten. Die entsprechenden nationalen Vorschriften zur Richterernennung aus dem Jahr 1989 seien schließlich schon außer Kraft gesetzt.
Richterernennung Polens ist Dauerthema vor dem EuGH
Außerdem erkenne Bobek auch in Bezug auf die übrigen Mitglieder des Spruchkörpers keine Gründe für Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Er sehe keine Gründe dafür, dass als Folge ihrer Ernennung durch den Landesjustizrat auf diese Richter unzulässiger Druck ausgeübt werden könnte. Zudem fragt er sich, warum diese Richterinnen und Richter sich einem solchen Druck beugen sollten.
Hintergrund des EuGH-Verfahrens ist ein anhaltender Streit unter der polnischen Richterschaft über die Legitimität einzelner Richter und ganzer Kammern sowie über den heutigen Landesjustizrat, der diese Richter ernennt. Kritiker der national-konservativen PiS-Regierung argumentieren, dass der Landesjustizrat kein politisch unabhängiges Gremium mehr sei, seit seine ursprüngliche Zusammensetzung 2018 mithilfe der PiS-Parlamentsmehrheit geändert wurde. Vor der Reform wurde die Mehrheit der Mitglieder des Landesjustizrates nicht vom Parlament, sondern von anderen Richtern ernannt.
Die PiS-Regierung baut das Justizwesen des Landes seit Jahren trotz internationaler Kritik um und setzt Richter damit unter Druck. Die EU-Kommission klagte schon mehrfach gegen die Reformen, zum Teil wurden sie vom EuGH für rechtswidrig befunden.
pdi/LTO-Redaktion
Mit Material der dpa
EuGH-Generalanwalt: . In: Legal Tribune Online, 08.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45426 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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