Der EuGH hat am Mittwoch entschieden, dass die spanische Umsetzung der Richtlinie zur Massenentlassung unionsrechtswidrig ist. Referenzgröße für die Schwellenwerte sei immer der Betrieb und nicht das Unternehmen, so die Richter. Dem klagenden Arbeitnehmer hilft das jedoch trotzdem nicht viel. Der deutsche Gesetzgeber muss sich derweil keine Sorgen machen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass bei der Prüfung, ob ein Fall der Massenentlassung vorliegt, solche Arbeitnehmer nicht mitzählen, deren befristeter Arbeitsvertrag ohnehin ausläuft. Denn ihr Arbeitsverhältnis sei eben nicht durch Entlassung beendet worden. Außerdem verwarf der Gerichtshof eine spanische Regelung, nach der hinsichtlich der Definition des Begriffs der Massenentlassung immer auf das ganze Unternehmen anstelle des einzelnen Betriebs abzustellen war (Urt. v. 13.5.15, Az. C-392/13).
In dem Fall ging es um einen spanischen Arbeitnehmer, der für das Postunternehmen Nexea tätig war. Im Juli 2012 besaß Nexea zwei Betriebe in Madrid und in Barcelona, in denen 164 bzw. 20 Personen beschäftigt waren.
Im Oktober und November 2012 liefen fünf befristete Arbeitsverträge aus, drei davon in Madrid und zwei in Barcelona. Im folgenden Monat wurden 13 weitere Arbeitnehmer des Betriebs in Barcelona aus wirtschaftlichen Gründen entlassen, darunter der Kläger. Seine Entlassung focht er vor einem spanischen Gericht mit der Begründung an, dass Nexea die Anwendung des Verfahrens für Massenentlassungen, das nach der Richtlinie zwingend sei, in betrügerischer Weise umgangen habe.
Was ist eine "Massenentlassung"?
"Massenentlassungen" sind u. a. Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt und deren Zahl innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens 20 beträgt. Dies gilt unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer in der Regel in dem betreffenden Betrieb beschäftigt sind.
Bei Massenentlassungen greifen besondere Schutzrechte für die Arbeitnehmer. Die Richtlinie der Union sieht daher vor, dass ein Arbeitgeber, der Massenentlassungen plant, die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig zu konsultieren hat, um zu einer Einigung zu gelangen. Die Richtlinie findet hingegen keine Anwendung auf Massenentlassungen im Rahmen von Arbeitsverträgen, die für eine bestimmte Zeit oder Tätigkeit geschlossen werden, es sei denn, dass die Entlassungen vor Ablauf oder Erfüllung dieser Verträge erfolgen.
Das spanische Gericht stellte fest, dass innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen insgesamt 18 Arbeitsverträge beendet worden seien, wenn man die fünf aufgrund ihrer Befristung im Oktober und November 2012 ausgelaufenen Arbeitsverträge zu den 13 im Dezember 2012 vorgenommenen Entlassungen hinzurechne. Damit wäre die nach den spanischen Rechtsvorschriften für die Einstufung als Massenentlassungen erforderliche Schwelle von zehn Prozent des Personals überschritten.
Die spanischen Richter legten den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Beantwortung verschiedener Fragen vor.
Entlassungen im Betrieb entscheidend
Sie wollten zunächst wissen, ob die Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, die den Begriff "Massenentlassungen" in der Weise bestimmt, dass als einzige Referenzeinheit das Unternehmen - hier Nexea, zu der die Betriebe in Madrid und in Barcelona gehören - und nicht der Betrieb - in Barcelona - verwendet wird.
Das Europäische Recht lässt grundsätzlich verschiedene Regelungen zu, wie die einzelnen Staaten Massenentlassungen definieren. Einige Vorgaben macht es hingegen schon. Dazu gehört die Voraussetzung, dass die nationale Regelung immer an den einzelnen Betrieb und nicht an das gesamte Unternehmen anknüpft.
Die spanischen Regelungen, die immer von der Zahl der Arbeitnehmer des gesamten Unternehmens ausgehen, verstoßen gegen die Richtlinie, urteilten die Richter des EuGH - gerade, wenn die Anwendung dieses Kriteriums zu Folge hätte, dass gewisse Schutzvorschriften der Richtlinie vereitelt werden. Dann sei die Zahl der vorgenommenen Entlassungen in jedem Betrieb eines Unternehmens gesondert zu berücksichtigen.
Die deutsche Umsetzung der Richtlinie in § 17 Kündigungsschutzgesetz spricht richtiger Weise vom Betrieb und nicht vom Unternehmen.
Auslauf befristeter Verträge ist keine Entlassung
Für die Entscheidung, ob die Schwellenwerte für eine Massenentlassung erreicht sind, sind keine Beendigungen ohnehin auslaufender befristeter Arbeitsverträge zu berücksichtigen, urteilte der EuGH nun. Denn Grund für das Ende des Arbeitsverhältnisses sei hier die vertragliche Befristung und nicht eine Entlassung.
Der Ausschluss solcher Verträge vom Anwendungsbereich der Richtlinie ergebe sich eindeutig aus ihrem Wortlaut und ihrer Systematik. Solche Verträge enden nämlich nicht auf Initiative des Arbeitgebers, sondern aufgrund der Klauseln, die sie enthalten, oder aufgrund des anwendbaren Gesetzes zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ablaufen oder zu dem die betreffende Tätigkeit erfüllt ist.
Allerdings erreichten die Entlassungen im Fall des Klägers nicht den im spanischen Recht vorgesehenen Schwellenwert auf der Ebene des Unternehmens. Da der Betrieb in Barcelona im fraglichen Zeitraum nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigte, war auch die in der Richtlinie vorgesehene Schwelle nicht erreicht. Daher findet die Richtlinie im vorliegenden Fall keine Anwendung.
In Kleinbetrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern sind keine Massenentlassungen vorgesehen. Ab dann steigt der prozentuale Anteil der prozentualen Schwellenwerte mit der Größe des Betriebs. Zwischen einer Betriebsgröße von 21 bis 59 Arbeitnehmern müssen mindestens fünf entlassen werden, ab 500 Arbeitnehmern müssen es schon 30 Prozent der gesamten Belegschaft eines Betriebes sein.
acr/ahe/LTO-Redaktion
EuGH zur Richtlinie über Massenentlassungen: . In: Legal Tribune Online, 13.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15534 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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