Stehen Polen und Ungarn zu Unrecht alleine am Pranger, wenn es um Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit geht? Die EU-Kommission will Vorwürfen nun besser vorbeugen. Die Mitgliedstaaten sollen deswegen jährlich überprüft werden.
Die EU-Mitgliedsstaaten werden sich künftig regelmäßig Überprüfungen der Rechtsstaatlichkeit unterziehen müssen. Die für die Einhaltung von europäischen Standards zuständige EU-Kommission kündigte am Mittwoch an, ab sofort einmal im Jahr die Lage in allen Mitgliedstaaten zu begutachten. Das neue System werde die "Früherkennung sich abzeichnender Rechtsstaatlichkeitsprobleme erleichtern", teilte die Behörde am Mittwoch in Brüssel mit. Über möglicherweise notwendige Konsequenzen solle dann mit dem Europaparlament und dem Rat der Mitgliedstaaten geredet werden. Außerdem will die Kommission das EU-Justizbarometer weiterentwickeln.
Mit dem neuen Verfahren reagiert die EU-Kommission offensichtlich auch auf Vorwürfe von Ländern wie Polen und Ungarn. Diese hatten sich in der Vergangenheit wiederholt darüber beklagt, einseitig im Fokus der Brüsseler Behörde zu stehen. Gegen beide Staaten wurden wegen mutmaßlicher Verletzungen der EU-Grundwerte bereits Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht und Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge eingeleitet. Letztere sollen die Regierungen in Warschau und Budapest unter der Androhung eines Stimmrechteentzugs dazu bewegen, umstrittene Entscheidungen zurückzunehmen.
In Polen geht es um Änderungen von Justizreformen, die nach Einschätzung von Rechtsexperten zu direkter Abhängigkeit der Justiz von der parlamentarischen Mehrheit und dem Präsidenten führen. In Ungarn sind unter anderem Maßnahmen Stein des Anstoßes, die das Aus für die Zentraleuropäische Universität (CEU) bedeutet haben.
"Der Europäische Gerichtshof hat kürzlich erneut bekräftigt, dass die Rechtsstaatlichkeit für das Funktionieren der EU von entscheidender Bedeutung ist", kommentierte EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans am Mittwoch. Die Kommission werde deswegen weiter gegen Angriffe gegen die Rechtsstaatlichkeit kämpfen und dafür "alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel" ausschöpfen.
"Gemeinsame Kultur der Rechtsstaatlichkeit fördern"
Mit Blick auf die Lage in Polen entschied die EU-Kommission so bereits jetzt, ein schon laufendes Vertragsverletzungsverfahren zum Schutz polnischer Richter vor politischer Kontrolle weiter voranzutreiben. Wie die Behörde mitteilte, hat die Regierung in Warschau Bedenken gegen eine neue Disziplinarregelung für Richter bislang nicht ausgeräumt. Ihr wird deswegen jetzt eine neue Stellungnahme zugeschickt, die innerhalb von zwei Monaten beantwortet werden muss. Wenn die Behörden nicht die erforderlichen Maßnahmen treffen, kann die Kommission den Europäischen Gerichtshof einschalten.
Die kritisierte Disziplinarregelung ermöglicht es nach Angaben der Brüsseler Behörde, Richter wegen des Inhalts ihrer Entscheidungen disziplinarrechtlich zu verfolgen. Sie ist schon jetzt Gegenstand eines sogenannten Vorabentscheidungsverfahrens am EuGH. Mit ihm gehen polnische Richter gegen die Disziplinarregelung vor.
Die polnische Regierung hatte kurz vor der offiziellen Ankündigung noch einmal vor dem Schritt gewarnt. Die Kommission versuche verzweifelt, Streit zwischen Polen und der EU anzuheizen, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Jacek Sasin. Dies tue der EU nicht gut.
Neben dem "Bericht über die Rechtsstaatlichkeit" und der Fortsetzung des Verfahrens gegen Polen kündigte die Kommission am Mittwoch auch ein neues Forum für den Dialog mit der Zivilgesellschaft sowie eine engere Zusammenarbeit mit dem Europarat und anderen Organisationen an. Es gehe darum, europaweit eine gemeinsame Kultur der Rechtsstaatlichkeit zu fördern, teilte die Kommission mit.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Jährlicher Bericht über die Rechtsstaatlichkeit: . In: Legal Tribune Online, 17.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36551 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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