Seit Jahren kämpfen die Aleviten in der Türkei vergeblich um staatliche Anerkennung. Der EGMR hat jetzt entschieden, dass die Türkei sie in ihrer Religionsfreiheit verletzt und diskriminiert. Bringt das Urteil nun die Wende?
Die Türkei verletzt nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) die schätzungsweise 20 Millionen Aleviten im Land in ihrer Religionsfreiheit aus Art. 9 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und verstößt gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK). Sie seien ohne objektive und einsichtige Begründung deutlich schlechter gestellt als die Mehrheit der sunnitischen Muslime, entschieden die Straßburger Richter am Dienstag (Urt. v. 26.04.2016, Az. ECHR 145 (2016)). Damit hatte eine Beschwerde von mehr als 200 Aleviten Erfolg. Sie wollen unter anderem erreichen, dass ihre Gebetshäuser und Gottesdienste offiziell anerkannt werden.
Als zweitgrößte türkische Religionsgemeinschaft erheben sie zudem Anspruch auf staatliche Fördermittel und treten dafür ein, dass ihre religiösen Führer Beamtenstatus bekommen. Die Regierung in Ankara hatte ein entsprechendes Gesuch 2005 zurückgewiesen. Türkische Gerichte bestätigten diese Entscheidung. Sie wurde damit begründet, dass die Aleviten eine religiöse Bewegung innerhalb des Islams seien.
Religionsverständnis keine Sache des Staates
Nach Auffassung der Straßburger Richter verkennt das den religiösen Charakter des alevitischen Glaubens, der tief in der türkischen Geschichte und Gesellschaft verankert sei. Wie sie ihre Religion verstehen, sei Sache der Gläubigen und nicht des Staates. Aleviten leben nicht nach den fünf Säulen des Islam. So pilgern sie zum Beispiel nicht nach Mekka und fasten auch nicht im Ramadan. Frauen und Männer sind gleichgestellt und beten im selben Raum.
Was die Stellung der Aleviten im Vergleich zu den Sunniten angeht, sprechen die Richter von einem "eklatanten Ungleichgewicht". Die Restriktionen hätten in vielerlei Hinsicht Nachteile für die Organisation und Finanzierung des religiösen Lebens. Die Begründung, die der türkische Staat dafür abgebe, sei "weder relevant noch ausreichend in einer demokratischen Gesellschaft".
Das Urteil wurde von der Großen Kammer des Gerichtshofs gesprochen und ist damit unanfechtbar. Für die Mitgliedstaaten des Europarats sind die Urteile aus Straßburg bindend, das heißt, sie müssen die beanstandeten Menschenrechtsverstöße in Zukunft vermeiden. Wie die Türkei mit dem Richterspruch umgeht, bleibt zunächst unklar.
dpa/acr/LTO-Redaktion
EGMR zu Religionsfreiheit: . In: Legal Tribune Online, 26.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19215 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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