Das Urteil des EGMR zur Haftung der Betreiber von Internetforen und Kommentarbereichen wurde mit Aufregung entgegengenommen. Dabei bestätigt es nur eine frühere Entscheidung - und liegt in etwa auf der Linie der deutschen Gerichte.
Eine Nachrichtenwebseite aus Estland ist für anonyme Kommentare verantwortlich und muss Bedrohungen und Hetze auch ohne einen Hinweis von Betroffenen löschen. Eine Schadensersatzforderung gegen das Portal sei daher rechtens, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am Dienstag in Straßburg (Urt. v. 16.06.2015, Az. 64569/09).
Das Urteil gilt für den konkreten Fall und muss in anderen Staaten bei einer anderen rechtlichen Ausgangsposition so nicht umgesetzt werden. Das Gericht befand jedoch auch, dass die Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt werde, wenn Mitgliedsstaaten die Betreiber von Webseiten zum Entfernen von offenkundig rechtswidrigen Kommentaren verpflichten.
Hetze und Drohungen müssen Betreiber direkt entfernen
Der Fall betraf wütende und unflätige Anfeindungen gegen einen Fährschiffer, die anonyme Verfasser auf einer großen estnischen Nachrichtenwebseite hinterlassen hatten. Bei dem Streit ging es um die Frage, ob in Estland Fähren vor der Küste das Eis brechen und eine Auto-Überfahrt unmöglich machen dürfen. Gerichte des Landes hatten den Betreiber des Nachrichtenportals, die Delfi AS, wegen der Kommentare zu einer Ersatzzahlung verurteilt.
Die Nachrichtenseite hatte die anstößigen Kommentare erst entfernt, nachdem Anwälte des Opfers dies gefordert hatten. Dieses mitunter als "notice and take down" bezeichnete Verfahren ist auch in Deutschland gängig. Das bestätigten die Straßburger Richter im Prinzip. Allerdings hätten die Kommentare in diesem Fall "Hetze und direkte Drohungen gegen die körperliche Unversehrtheit von Personen" enthalten. In einer solchen Situation könnten die Betreiber von Portalen verpflichtet werden, die Drohungen auch ohne einen Hinweis von Betroffenen zu entfernen.
Kommentare müssen nicht von vornherein gefiltert werden
Die Sache hatte den EGMR bereits im Herbst 2013 beschäftigt. Die damals getroffene Entscheidung wurde allerdings nicht rechtskräftig und an die Große Kammer verwiesen, die jetzt ihr Urteil fällte. Das Gericht verlangte nicht, dass Webseiten alle Wortmeldungen von vornherein filtern müssten. Das würde die Meinungsfreiheit auf Nachrichtenseiten zu stark einschränken. Die Richter erklärten zudem, dass ihr Urteil nicht für andere Diskussionsforen oder Online-Netzwerke gelte.
Die Besonderheit dieses Falles lag darin, dass Delfi nach Meinung der Richter allerdings durchaus in der Lage gewesen wäre, schneller zu handeln - tatsächlich waren die Kommentare erst sechs Wochen nach ihrer Veröffentlichung entfernt worden. Der Betreiber habe die technischen Möglichkeiten gehabt, Kommentare zu kontrollieren. Es gäbe ein automatisches Löschsystem, um vulgäre Begriffe herauszufiltern, und ein Warnsystem, mit dem andere Nutzer die Netzverwalter über Beleidigungen informieren können. Außerdem habe die Nachrichtenseite auch in anderen Fällen von sich aus Kommentare gelöscht. Somit übten die Betreiber ein gewisses Maß an Kontrolle über den Kommentarbereich aus.
Klagen gegen Betreiber auch in Deutschland erfolgreich
Der EGMR befinde sich damit auf einer Linie mit der höchstrichterlichen deutschen Rechtsprechung, erklärt LTO-Autor David Ziegelmayer im Blog von CMS. Eine Klage auf Unterlassen oder Schadensersatz in Deutschland könne auch jetzt schon erfolgreich sein, wenn der Betreiber nach Außen sichtbar die inhaltliche Verantwortung übernommen habe, so der Rechtsanwalt mit Verweis auf eine entsprechende Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus 2009 (Urt. v. 12.11.2009, Az. I ZR 166/07).
Delfi hatte vor dem Gerichtshof geklagt, weil es sein Recht auf Meinungsfreiheit verletzt sah. Diese Klage haben nun die 17 Richter der großen Kammer mit 15 gegen zwei Stimmen zurückgewiesen. Das Urteil der estnischen Gerichte sei "eine berechtigte und angemessene Beschränkung der Meinungsfreiheit des Portals" gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung. Die vom estnischen Gericht verhängte Geldstrafe von umgerechnet 320 Euro sei nicht übertrieben.
dpa/una/LTO-Redaktion
EGMR zur Haftung von Forenbetreibern: . In: Legal Tribune Online, 17.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15890 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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