Die Läuferin Caster Semenya kämpft seit Jahren gegen den Leichtathletik-Weltverband. Es geht um zu hohe Testosteronwerte und damit vermeintliche Vorteile. Jetzt gibt der EGMR ihr Recht.
Die zweifache Olympiasiegerin Caster Semenya hat einen wichtigen Erfolg im juristischen Marathon gegen die Testosteron-Regeln des Leichtathletik-Weltverbandes erkämpft, das Rennen aber noch nicht endgültig gewonnen. Die 32 Jahre alte Mittelstreckenläuferin aus Südafrika setzte sich am Dienstag mit ihrer Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) durch. Der internationale Dachverband World Athletics kündigte schnell Widerstand gegen das Urteil an, es solle an den bestehenden Regeln festgehalten werden. Ob Semenya das Olympia-Startrecht für Olympia 2024 (Paris) noch erwirken kann, bleibt offen.
World Athletics hatte im November 2018 in bestimmten Disziplinen für die Teilnahme-Berechtigung in der Frauenklasse einen Testosteron-Grenzwert eingeführt. Dagegen hatte die dreimalige Weltmeisterin 2019 vergeblich beim Cas und 2020 beim Schweizer Bundesgericht geklagt.
Semenya hatte öffentlich gemacht, einen hohen natürlichen Testosteronspiegel zu haben, lehnte es aber ab, sich den neuen Regeln zu unterwerfen. Sie wollte sich keiner Behandlung unterziehen, um ihren natürlichen Hormonspiegel unter einen bestimmten Schwellenwert zu senken und so die 800 Meter laufen zu können. Der Weltverband hingegen stellte fest, dass der hohe Testosteronspiegel einen unfairen sportlichen Vorteil verschafft und verbot intergeschlechtlichen Frauen den Start in bestimmten Disziplinen.
Für sie stehe viel auf dem Spiel, da die Regeln ihre Karriere unterbrochen hätten und ihren Beruf beeinträchtigten, so die Läuferin. Die Diskussion um Semenya hatte bei der WM 2009 in Berlin begonnen, wo sie als Teenagerin ihre große Karriere begann.
EGMR: Semenya wurde diskriminiert
Der EGMR stellte mehrere Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) fest, vor allem gegen das Recht auf wirksame Beschwerde aus Art. 13 EMRK, das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK sowie das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK. Semenya wurde in dem Urteil bestätigt, diskriminiert worden zu sein. Der Gerichtshof befand zudem, dass ihr zweiter Rechtsbehelf gegen die Regeln vor dem obersten Schweizer Gericht zu einer "gründlichen institutionellen und verfahrenstechnischen Überprüfung" der Regeln hätte führen müssen.
Die Richter befanden nun, dass Semenya bei den Gerichtsverfahren in der Schweiz so ein wirksamer Rechtsbehelf verweigert wurde. Sie habe glaubwürdig dargelegt, warum sie wegen ihres erhöhten Testosteronspiegels diskriminiert werde. Für solche Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts und sexueller Merkmale brauche es "sehr gewichtige Gründe" als Rechtfertigung. Weil für Semenya so viel auf dem Spiel stand, hätte ihr Anliegen besser geprüft werden müssen, befanden die Richter.
Da kein Eiltempo nach der möglichen Anrufung der nächsten Instanz zu erwarten ist, dürfte für die 800-Meter-Olympiasiegerin von 2012 (London) und 2016 (Rio de Janeiro) ein Start bei den Paris-Spielen eher schwierig zu erreichen sein.
"In der Zwischenzeit bleiben die DSD-Bestimmungen, die vom Exekutivkomitee von World Athletics im März 2023 genehmigt wurden, in Kraft", hieß es in einer Stellungnahme. Die im März verschärften Regeln seien "weiter ein notwendiges, angemessenes und verhältnismäßiges Mittel zum Schutz des fairen Wettbewerbs in der Frauenkategorie".
Beantragt die Schweiz die Verweisung an die Große Kammer?
Angesichts der "stark abweichenden Meinungen in der Entscheidung" der Richter will World Athletics die Schweizer Regierung ermutigen, die Verweisung der Sache an die Große Kammer des Menschenrechtsgerichts zu beantragen, damit "eine endgültige Entscheidung" getroffen werden könne. Das ist nach Art. 43 Abs. 1 EMRK innerhalb von drei Monaten nach dem Urteil in Ausnahmefällen für jede Partei möglich. Nach Abs. 2 nimmt ein Ausschuss von fünf Richtern der Großen Kammer den Antrag an, wenn die Rechtssache eine schwerwiegende Frage der Auslegung oder Anwendung der Konvention oder eine schwerwiegende Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft.
Die weltweite Debatte um intergeschlechtliche Menschen geht über die Leichtathletik hinaus. Auch im Schwimmen, Rugby oder Radsport gibt es Regelungen zu ihrem Ausschluss von internationalen Frauen-Wettbewerben im Sport. Wie heterogen die Meinungen bei dem Thema sind, spiegelt sich auch in dem Urteil der sieben Richter im Fall Semenya wider, die mit nur 4:3-Stimmen zu ihren Gunsten entschieden.
dpa/jb/LTO-Redaktion
EGMR zu erhöhten Testosteronwerten: . In: Legal Tribune Online, 11.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52216 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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