Russland hat mit seinen Abhörpraktiken gegen Grundrechte verstoßen, befand der befand der EGMR. Ob dessen Urteile jedoch künftig überhaupt in Russland gelten, entscheidet das Land nach einem Parlamentsbeschluss bald selbst von Fall zu Fall.
Russland hat mit geheimer Telefonüberwachung gegen das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens verstoßen. Im russischen Recht fehlten ausreichende Garantien gegen Willkür und Missbrauch geheimer Abhörpraktiken, befand der Europäische Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) am Freitag.
Die Kammer gab damit einem 38-jährigen Verleger aus Sankt Petersburg Recht. Der hatte 2003 geklagt, dass auf Anweisung des Ministeriums für Kommunikation Mobilfunkbetreiber eine Technik eingerichtet hatten, um dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB die uneingeschränkte Überwachung aller Mobiltelefone zu ermöglichen.
Die Straßburger Richter definierten in ihrem Urteil die Grenzen geheimer Telefonüberwachung. Diese sei legitim, um die nationale und die öffentliche Sicherheit zu garantieren. Doch angesichts der Gefahr, dass ein geheimes Überwachungssystem "die Demokratie unter dem Deckmantel ihrer Verteidigung untergraben oder zerstören könnte, sind wirksame Garantien gegen Missbrauch erforderlich". In Russland fehlten derartige Garantien, hieß es in dem Urteil.
Gegen dieses Urteil ist keine Berufung möglich. Russland müsste seine Gesetzgebung ändern, um in Zukunft derartige Klagen zu verhindern.
Russland entscheidet selbst über Relevanz internationaler Urteile
Das russische Parlament hat allerdings – ebenfalls am Freitag - einem Gesetz zugestimmt, wonach das Verfassungsgericht über die Wirksamkeit internationaler Urteile, z.B. die des EGMR, für das Land entscheiden kann.
"Das neue Gesetz erlaubt der Regierung, ihre Rechte wahrzunehmen - falls die Entscheidung einer internationalen Instanz dem nationalen Interesse widerspricht", sagte der Abgeordnete Wjatscheslaw Lissakow. Damit nehme Russland aber nicht Abstand von seinen internationalen Verpflichtungen, sagte der Abgeordnete Wladimir Pligin am Freitag in Moskau.
Vor der Abstimmung habe der Generalsekretär des Europarates, Thorbjörn Jagland, bei einem Telefonat mit Parlamentschef Sergej Naryschkin seine Bedenken übermittelt, meldete die Agentur Interfax.
Als ein Grund für das Gesetz gilt ein Entschädigungsstreit Russlands mit früheren Eignern des zerschlagenen Ölkonzerns Yukos. Der EGMR hatte Russland 2014 zur Zahlung von knapp 1,86 Milliarden Euro an die Aktieninhaber verurteilt. Zudem entschied ein Gericht in Den Haag, dass Moskau fast 50 Milliarden US-Dollar Strafe zahlen soll. Die Zerschlagung sei politisch motiviert gewesen. Moskau weist dies zurück. Enteignete Yukos-Investoren drohen damit, ihre Forderung mit der Pfändung russischen Staatseigentums durchzusetzen.
dpa/ahe/LTO-Redaktion
EGMR verurteilt Russland: . In: Legal Tribune Online, 07.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17771 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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