330.000 Euro Entschädigung muss Griechenland an Flüchtlinge zahlen, die das Kentern eines Boots vor der griechischen Küste überlebten. Sie seien in ihrem Recht auf Leben verletzt und unmenschlich behandelt worden.
Griechenland muss den Überlebenden eines Bootsunglücks mit Flüchtlingen im Winter 2014 eine Entschädigung in Höhe von 330.000 Euro zahlen, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Die griechischen Behörden hätten das Recht auf Leben sowie das Verbot unmenschlicher Behandlung verletzt (Urt. v. 07.07.2022, Beschwerdenr. 5418/15).
Der EGMR hat sich mit den Anträgen von 16 Flüchtlingen beschäftigt, die an Bord eines am 20. Januar 2014 gesunkenen Fischerboots waren. Bei dem Unglück vor der Küste der griechischen Insel Farmakonisi starben damals elf Menschen, unter anderem Angehörige von den antragstellenden Personen. Ihnen zufolge ist das Schiff der griechischen Küstenwache mit hoher Geschwindigkeit gefahren, um die Flüchtlinge zurück in türkische Gewässer zu drängen (sog. Push-Back). Das habe zum Kentern des Boots mit den Flüchtlingen geführt.
Die griechischen Behörden trugen jedoch vor, dass das Boot von der Küstenwache an griechisches Land gezogen werden sollte und es aufgrund der Panik und der plötzlichen Bewegungen der Passagiere gekentert sei.
Notruf erst 12 Minuten nach Kentern gesendet
Die antragstellenden Flüchtlinge sind der Ansicht, dass die Aktionen der Küstenwache ihr Recht auf Leben nach Art. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt hätten. Manche unter ihnen bezogen sich auch auf den Tod ihrer Angehörigen. Die Rettungsversuche seien nicht ausreichend gewesen.
Der EGMR gab ihnen nun Recht und verurteilte Griechenland zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 330.000 Euro. So sei der EGMR nicht in der Lage gewesen, zu beurteilen, ob tatsächlich Push-Backs in das türkische Gewässer stattgefunden haben oder nicht – die griechischen Behörden hätten dazu nämlich nicht gründlich genug ermittelt. Es gebe keine Erklärung dafür, warum die Küstenwache kein geeigneteres Boot anforderte, um die Flüchtlinge retten zu können. So hätten die antragstellenden Personen vorgetragen, dass auf dem Boot der Küstenwache noch nicht einmal Schwimmwesten zur Verfügung gestanden hätten.
Des Weiteren sei ein Notruf an alle umliegenden Schiffe erst zwölf Minuten, nachdem das Fischerboot schon komplett gesunken war, gesendet worden. Der angeforderte Helikopter sei auch viel zu spät erst angekommen. Für diese und weitere Umstände hätte die griechische Regierung keine Erklärung geliefert. Der EGMR ist daher der Ansicht, dass die griechischen Behörden nicht alles getan hätten, was von ihnen erwartet werden konnte. Das verletze die antragstellenden Personen in ihrem Recht auf Leben.
Keine Erklärung für körperliche Untersuchung
Außerdem seien zwölf der antragstellenden Personen nach dem Unglück auf einen Basketballplatz gebracht worden, wo sie sich vollständig ausziehen mussten. Vor den Augen von anderen Überlebenden und von einer Gruppe von Soldat:innen hätten sie sich einer körperlichen Durchsuchung unterziehen müssen. Die griechischen Behörden sind dem EGMR zufolge nicht in der Lage gewesen, zu erklären, warum das aus Sicherheitsgründen notwendig gewesen ist. Zudem hätten sie keine Indizien vorgetragen, dass die Personen bewaffnet oder sonst irgendeine Gefahr dargestellt hätten. Im Gegenteil – die Flüchtlinge seien erschöpft, geschockt und besorgt über das Schicksal ihrer Angehörigen dort angekommen. Die griechischen Behörden hätten daher gegen Art. 3 EMRK, dem Verbot von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, verstoßen.
Insgesamt verurteilte der EGMR Griechenland daher zu einer Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 330.000 Euro.
pdi/LTO-Redaktion
EGMR zum Bootsunglück vor Farmakonisi: . In: Legal Tribune Online, 07.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48979 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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