Eine schwangere Türkin erwartete Zwillinge - so sagten es jedenfalls die Ärzte. Als sie schließlich nur ein Kind im Arm hielt, stellte sie u.a. Strafanzeige wegen Entführung. Am Ende dauerte ihre Suche fast 12 Jahre - zu lang, befand der EGMR.
Eigentlich sollte sie Zwillinge gebären, doch als sie aus der Narkose erwachte und die Ärzte ihr nur ein Kind überreichten, geriet eine türkische Mutter in Panik: Was war mit dem zweiten Kind geschehen? Weil die Beantwortung dieser Frage Jahre in Anspruch nahm, bekam die Frau nun vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Entschädigung zugesprochen (Urt. v. 10.04.2018, Az. 18356/11).
Am Tag vor der Geburt ihres Kindes eröffneten die Ärzte im Krankenhaus der werdenden Mutter, dass sie Zwillinge bekommen werde. Sie wurde in ein anderes Hospital verlegt, wo eine Ultraschalluntersuchung den Befund bestätigte. Tags darauf, am 8. November 1997, begab sie sich schließlich in ein drittes Krankenhaus, wo ein Kaiserschnitt durchgeführt wurde. Als ihr aber statt der versprochenen Zwillinge nur ein Kind übergeben wurde, konnte sie es nicht glauben. Obgleich die Ärzte beteuerten, sie habe nur ein Kind zur Welt gebracht, stellte die Mutter Strafanzeige wegen Entführung des zweiten Kindes.
Das daraufhin eingeleitete Strafverfahren ergab aber keine Hinweise auf ein Verbrechen. Vielmehr habe es eine Fehldiagnose gegeben, so das Ergebnis der Ermittler. Diese sei vermutlich auf das erhebliche Übergewicht der Frau zurückzuführen. Bis zur endgültigen Klärung der Umstände dauerte es aber lange: Fast zwölf Jahre gingen zwischenzeitlich ins Land.
Fast 12 Jahre Verfahrensdauer waren zu lang
Eine Klage auf Entschädigung wegen der seelischen Schäden, die der Familie aufgrund des vermeintlichen Verschwindens des zweiten Kindes und der langen Ungewissheit entstanden waren, lehnte das erstinstanzlich befasste türkische Gericht noch ab. Schließlich wurde der Mutter aber im Rechtsmittelverfahren eine Entschädigung i. H. v. 2.575 Euro wegen der Fehldiagnose zugesprochen.
Dies sah sie aber als unzureichend an und zog vor den EGMR, wo sie eine Kompensation für die Jahre währende Unklarheit über den Verbleib ihres vermeintlichen zweiten Kindes erreichen wollte. Und die Straßburger Richter gaben ihr nun Recht: Das Urteil aus der Türkei habe in prozessualer Hinsicht ihr Recht auf Privat- und Familienleben aus Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt. Somit sprach man ihr eine Entschädigung über 5.000 Euro zu, davon 3.000 Euro an immateriellem Schadensersatz und 2.000 Euro an Verfahrenskosten.
Wenngleich es keine Anzeichen für eine Fehldiagnose gegeben habe, so sei doch die lange Verfahrensdauer nicht angemessen gewesen. Gerade in einer Situation wie dieser sei eine schnelle Aufklärung geboten.
mam/LTO-Redaktion
Mit Material von dpa
EGMR zu Fehldiagnose an Schwangerer: . In: Legal Tribune Online, 11.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27981 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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