Mitglieder der Sekte "Zwölf Stämme" haben vor dem EGMR gegen die Entziehung des Sorgerechts für ihre Kinder geklagt. Dieser bestätigte allerdings die deutschen Gerichte: Die Kinder mussten vor Prügelstrafen geschützt werden.
Körperliche Züchtigungen an Kindern sollen in der Sekte der "Zwölf Stämme" Alltag sein, was die zuständigen deutschen Jugendämter schließlich zum Einschreiten veranlasste. Mehrere Kinder wurden mit Hilfe der Polizei den Eltern entzogen und in die Obhut der Behörden gebracht. Diesen Eingriff bestätigte nach den deutschen Gerichten nun auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Es habe einfach keine andere Möglichkeit gegeben, die Kinder effektiv vor den Übergriffen zu schützen, entschieden die Straßburger Richter (Urt. v. 22.03.2018, Beschw.-Nr. 11308/16 u. a.).
In den "Zwölf Stämmen", die 1970 in den USA gegründet wurde und anschließend ihren Weg auch nach Deutschland fanden, lebt man sehr konservative Werte: Strenge Hierarchien, Männer sind den Frauen übergeordnet, das alles im Namen des Christentums. Es gibt viel Arbeit, aber keinen Lohn, kein Eigentum und auch keine Krankenversicherung oder öffentliche Schulen - nur die Gemeinschaft.
Jugendamt holte Kinder aus den Familien
Dass die nicht immer so fürsorglich ist, wie sie sich nach außen hin zeigen mag, davon waren auch die Richter am EGMR schnell überzeugt. Zwei Familien, die in der bayerischen "Zwölf Stämme"-Gemeinschaft in Klosterzimmern gelebt hatten und nach dem Einschreiten der Behörden nach Tschechien geflohen waren, rügten eine Verletzung ihres Rechts auf Privat- und Familienleben aus Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Nachdem bereits in den Medien darüber berichtet worden war, filmte im Jahr 2013 ein Fernsehjournalist heimlich Prügelstrafen gegen Kinder, das jüngste gerade einmal drei Jahre alt. Nachdem er diese an das örtliche Jugendamt weitergeleitet hatte, entzogen die Familiengerichte den Eltern sämtlicher dort lebender Minderjähriger im Wege der einstweiligen Anordnung das Sorgerecht. Wenig später wurden sie unter Mithilfe der Polizei vom Jugendamt in Obhut genommen.
Nachdem die Eltern bereits vor den Familiengerichten unterlegen waren, lehnte es schließlich auch das Bundesverfassungsgericht ab, ihre Beschwerden zuzulassen. Somit zogen sie schließlich vor den EGMR.
EGMR: Prügelstrafen ein "unerschütterliches Dogma" bei Mitgliedern
Die Gerichte hätten sich bei ihrer Entscheidung sowohl auf Presseberichte als auch auf Aussagen ehemaliger Mitglieder der Sekte gestützt, führten die Straßburger Richter nun in ihrer Begründung aus. Zudem seien Psychologen zu Rate gezogen und die Gefahr für jedes einzelne Kind individuell bewertet worden. Man habe die Entscheidungen somit in jedem Fall sorgfältig begründet und gut abgewogen.
So sei man auch richtigerweise zu dem Schluss gekommen, dass für die Kinder das Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestanden habe. Die Entziehung des Sorgerechts sei damit nicht zu beanstanden. Vor allem hätten mildere Maßnahmen keine Hilfe versprochen, wie die Richter nachdrücklich bemerkten: "Insoweit hätte jegliche Hilfeleistung durch das Jugendamt, etwa Schulungen für die Eltern, nicht in hinreichendem Maße die Kinder zu schützen vermocht, da die Eltern die körperliche Züchtigung als unerschütterliches Dogma in der Kindererziehung ansahen".
Lediglich aufgrund eines überlangen Verfahrens gestand man den Eltern der Kinder schließlich noch eine Entschädiung i. H. v. 9.000 bzw. 8.000 Euro zu.
mam/LTO-Redaktion
EGMR bestätigt Entzug des Sorgerechts von Sektenmitgliedern: . In: Legal Tribune Online, 22.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27665 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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