Die Triage-Entscheidung des BVerfG stößt auf ein positives Echo in der Politik und bei Sozialverbänden. Die Bundesregierung kündigte an, zügig einen Gesetzentwurf vorzulegen.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur sogenannten Triage wollen die Bundestagsfraktionen rasch aktiv werden. Gesetzliche Regelungen sollten zügig beschlossen werden, so die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Heike Baehrens, und der Rechtspolitiker Johannes Fechner (SPD) am Dienstag. "Entscheidendes Kriterium muss die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit sein." Denkbar sei dafür eine Regelung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. "Wir werden dazu noch im Januar Beratungen beginnen."
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kündigte eine rasche Reaktion der Bundesregierung an. "Das erste Ziel muss sein, dass es erst gar nicht zu einer Triage kommt. Wenn aber doch, dann bedarf es klarer Regeln, die Menschen mit Handicaps Schutz vor Diskriminierung bieten", schrieb er am Dienstag auf Twitter. Die Bundesregierung werde dazu zügig einen Gesetzentwurf vorlegen.
Das Karlsruher Gericht hatte auch mit Verweis auf die Behindertenrechtskonvention entschieden, der Bundestag müsse "unverzüglich" Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen im Fall einer Triage treffen - also wenn Ärzte entscheiden müssen, wen sie angesichts knapper Ressourcen retten und wen nicht. Bei der Umsetzung habe der Gesetzgeber Spielräume (Az. 1 BvR 1541/20).
Die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Katrin Helling-Plahr, sagte der dpa: "Als Gesetzgeber müssen wir nun klare Regelungen insbesondere auch zu Verfahrensfragen treffen. Zugleich werden es auch künftig die Ärztinnen und Ärzte sein müssen, die letztendlich die Entscheidungen im konkreten Einzelfall treffen. Wir sollten zu alldem nun umgehend in eine breite und umfassende gesellschaftliche Diskussion eintreten."
Opposition fordert schnelle Rechtssicherheit
Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink kündigte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland an: "Wir werden gemeinsam mit SPD und FDP beraten, wie dieser Auftrag des Verfassungsgerichts eine Umsetzung finden kann und mit den anderen demokratischen Fraktionen dazu ins Gespräch kommen."
Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), verlangte schnelle Rechtssicherheit für Ärzte, auch mit Blick auf eine drohende Überlastung der Krankenhäuser durch die Omikron-Variante des Coronavirus. "Die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss aufgeworfenen Fragen könnten deshalb schon bald akut werden. Aus diesem Grund sollte aus meiner Sicht im Januar ein entsprechendes Gesetz vom Bundestag beraten und verabschiedet werden." Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings (CDU), sagte der Rheinischen Post (Mittwoch): "Als Gesetzgeber sind wir gut beraten, uns auf die Regelung eines transparenten und rechtssicheren Verfahrens zu konzentrieren und darüber hinaus nur äußere Grenzen für diskriminierungsfreie Entscheidungen zu setzen. Die konkrete Triage-Entscheidung selbst können wir als Gesetzgeber nicht vorwegnehmen."
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sprach von einem klaren Handlungsauftrag an die Regierung. "Zwei Jahre Unterlassen beendet Karlsruhe heute", sagte er der dpa. "Bundesregierung und Bundestag müssen in der kommenden Woche in die Beratungen mit Experten einsteigen, um den Anforderungen Karlsruhes gerecht zu werden. Weiteres Zeitspiel darf es nicht geben."
Patientenschützer und Sozialverbände begrüßen Beschluss
Patientenschützer und der Sozialverband VdK begrüßten den am Dienstag veröffentlichten Beschluss des höchsten deutschen Gerichts. "Jetzt kann sich der Bundestag nicht mehr drücken", sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Bislang habe er Entscheidungen zur Priorisierung im Gesundheitssystem immer wegdelegiert - etwa an Fachverbände. Die nun zu treffenden Entscheidungen seien für die Abgeordneten sicher keine einfachen.
VdK-Präsidentin Verena Bentele erklärte: "Es kann und darf nicht sein, dass Medizinerinnen und Mediziner in einer so wichtigen Frage allein gelassen werden, dafür braucht es eine gesetzliche Grundlage." Patientenschützer Brysch sagte, die nun nötige Diskussion brauche etwas Zeit. "Das ist ein äußerst komplexes Thema." Er erwarte aber binnen eines Jahres Ergebnisse. "Wir wissen ja nicht, wie die Lage im nächsten Herbst ist." Wichtig sei nun, dass die Fraktionen im Bundestag einen Fahrplan vorlegen. Auch die Bundesregierung sei gefordert, Vorschläge zu unterbreiten.
Eine der Beschwerdeführerinnen, die Trierer Richterin Nancy Poser, zeigte sich erleichtert. "Für mich als Juristin war es sehr wichtig gewesen, zu wissen, dass man sich auf die Verfassung verlassen kann", sagte die Richterin am Amtsgericht Trier am Dienstag der dpa. Die 42-Jährige hatte mit acht weiteren Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Freude verspüre sie nach dem Richterspruch nicht. "Freude kann man nicht sagen, denn es geht um Triage. Das ist ein Thema, da kann es keine Freude geben - egal nach welchen Kriterien entschieden wird, es ist immer tragisch", sagte die 42-Jährige, die an einer spinalen Muskelatrophie leidet. Aber eben Erleichterung: "Weil das Grundgesetz Menschen mit Behinderungen schützt und das Verfassungsgericht auch in Anbetracht dieser Krisensituation die Grundrechte von Menschen mit Behinderungen wahrt."
dpa/acr/LTO-Redaktion
Reaktionen auf Triage-Entscheidung des BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 28.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47072 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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