Der Streit um den Vorsitz am BSG geht in die nächste Runde. Das BVerfG hat der Beschwerde einer nichtberücksichtigten Richterin stattgegeben. Die Auswahlentscheidung des Arbeitsministeriums war nicht gut genug dokumentiert.
Mit der Entscheidung der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bleiben Richterstellen an Bundesgerichten noch länger blockiert. Ausgeschrieben sind die Vorsitzendenstellen von gleich drei Senaten am Bundessozialgericht (BSG) bereits seit dem Jahr 2012. Die Zurückverweisung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH), mit dem die Karlsruher Richter der Verfassungsbeschwerde einer nicht berücksichtigen Bewerberin stattgaben, enthält dabei nicht einmal eine Prognose zu der Sachfrage, ob ihre Nichtberücksichtigung rechtmäßig war.
Das BVerfG begründet seine am Freitag veröffentlichte Entscheidung vielmehr mit einem eher formalen Argument: Der VGH habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales seine Auswahlentscheidung bei der Besetzung der Vorsitzendenstellen nicht genügend dokumentiert habe.
Dort wurde zwar in einer Gesprächsnotiz vermerkt, dass das Ministerium dem Besetzungsvorschlag des BSG-Präsidenten folgen werde, welcher drei Richter vorgeschlagen hatte. Die jetzige Klägerin stand nicht auf seiner Vorschlagsliste. Die damalige Ministerin besetzte aber, anders als vom Gerichtspräsidenten und von ihrer Fachabteilung vorgeschlagen, nur zwei statt der drei ausgeschriebenen Vorsitzendenstellen. Eine Begründung für dieses Vorgehen fand sich in der Akte nicht.
Erst Dokumentation ermöglicht Rechtsschutz
Damit ist das Ministerium als Dienstherr seiner Dokumentationspflicht bei der Auswahlentscheidung nicht nachgekommen, befindet das BVerfG. Die Ablehnung der Eilrechtsschutzanträge der Bewerberin durch den VGH verletze die nicht berücksichtigte Bewerberin in ihrem Recht aus Art. 33 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), (BVerfG, Beschl. v. 25.11.2015, Az. 2 BvR 1461/15).
Die Karlsruher Richter monieren eine Verkürzung des effektiven Rechtsschutzes für die unterlegene Kandidatin. Auch das Verwaltungsverfahren müsse so ausgestaltet sein, dass es den gerichtlichen Rechtsschutz nicht vereitelt oder erschwert.
Erst die schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen mache es unterlegenen Kandidaten möglich, zu entscheiden, ob sie die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen oder dagegen gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen will. Das höchste deutsche Gericht hält es für unzumutbar, dass nicht berücksichtigte Bewerber andernfalls die Auswahlentscheidung ihres Dienstherrn "ins Blaue hinein" in einem gerichtlichen Eilverfahren angreifen müssten, um erst dort von den tragenden Auswahlerwägungen zu erfahren. Auch dem Gericht eröffne erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen.
Der Streit um die Besetzung der Vorsitzendenstellen am BSG schwelt schon seit Jahren. Nach dem Vorschlag des Präsidenten vom Anfang des Jahres 2013 sollten diese ursprünglich Ende 2013 neu besetzt werden. Das Problem beschäftigt auch andere Bundesgerichte: Am Bundesgerichtshof und am Bundesfinanzhof gibt es ebenfalls Streit um die Besetzung von Vorsitzendenstellen. Diese sind durch die Konkurrentenklagen nicht berücksichtigter Bewerber oft über Jahre blockiert, verschiedene Verwaltungsgerichte kommen nach nicht immer identischen Maßstäben zu unterschiedlichen Ergebnissen. Auf Vorschlag der fünf Präsidenten der Bundesgerichte prüft das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz derzeit, ob die Verfahren künftig zentral an einem Spezialsenat am Bundesverwaltungsgericht gebündelt werden sollen.
Pia Lorenz, BSG-Richterin mit Verfassungsbeschwerde erfolgreich: . In: Legal Tribune Online, 11.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17831 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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