Staatliche Gerichte dürfen sich nicht über das kirchliche Selbstverständnis hinwegsetzen, solange dieses nicht grundlegend dem Verfassungsrecht widerspricht. Das BVerfG hob ein Urteil des BAG auf, welches die Entlassung eines Chefarztes eines katholischen Krankenhauses für unwirksam erklärt hatte. Vielleicht muss der Mediziner, der in zweiter Ehe lebt, seinen Posten nun doch räumen.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines katholischen Krankenhausträgers stattgegeben, welcher sich gegen eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus 2011 richtete. Die Erfurter Richter hatten damals die Kündigung eines Chefarztes für unwirksam erklärt. Das Krankenhaus wollte den Mann entlassen, weil er 2008 zum zweiten Mal geheiratet hatte. Nun entschied das BVerfG, dass das BAG die Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nicht ausreichend berücksichtigt habe und daher neu entscheiden müsse (Beschl. v. 22.10.2014, Az. 2 BvR 661/12).
Der Mediziner ist seit 2000 als Chefarzt der Abteilung Innere Medizin für das Krankenhaus tätig und war in den ersten Jahren nach katholischem Ritus in erster Ehe verheiratet. Dies änderte sich, nachdem sich das Paar 2005 trennte und die Ehe Anfang 2008 schließlich nach staatlichem Recht geschieden wurde. Wenig später heiratete der Arzt dann seine neue Lebensgefährtin standesamtlich. Etwa ein halbes Jahr darauf kündigte ihm sein Arbeitgeber ordentlich.
Aufsehen erregende Entscheidung des BAG gekippt
Dass sich der Arzt mit seiner Kündigungsschutzklage am BAG 2011 durchsetzte, hatte für Aufsehen gesorgt. Experten deuteten die Entscheidung als Beginn einer Kehrtwende, die den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) entsprach. Das Straßburger Gericht vertrat in mehreren Entscheidungen die Auffassung, dass auch in Kündigungsstreitigkeiten zwischen kirchlichen Einrichtungen und Arbeitnehmern eine umfassende und offene Güterabwägung stattfinden müsse, bei der auch alle sozialen Aspekte eine Rolle spielen müssten.
So urteilte das BAG, dass der Arzt zwar gegen die Grundsätze der katholischen Kirche verstoßen habe. Es bewertete allerdings auch, dass das Krankenhaus auch Ärzte anderer Konfessionen und auch Mediziner in zweiter Ehe beschäftige. Nicht zuletzt hob das BAG den grundrechtlich geschützten Wunsch des Chefarztes hervor, mit seiner neuen Partnerin eine Ehe nach bürgerlichem Recht zu schließen. Die Erfurter Richter sprachen damit ein Urteil, welches Arbeitnehmern kirchlicher Einrichtungen, die ebenfalls eine Zweitehe eingehen wollen oder bereits führen, Hoffnung gab.
Karlsruhe macht diese aber nun zunichte. Mit dem am Donnerstag bekannt gegebenen Beschluss bleibt der Zweite Senat bei seiner Linie, wonach staatliche Gerichte die Loyalitätsobliegenheiten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen nur eingeschränkt überprüfen dürfen. Demnach entscheidet allein die Kirche, welche Grundverpflichtungen für das Arbeitsverhältnis von Bedeutung sind und welche nicht. Nur wenn dies im Widerspruch zu grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen steht, dürfen die Gerichte einschreiten.
Kirchliche Interessen haben grundsätzlich Vorrang
Das BVerfG stützt sich auf die verfassungsrechtlich vorgegebene Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es sei dem Staat untersagt, Glauben und Lehre einer Kirche zu bewerten. So geht das Gericht davon aus, dass die Arbeits- und Kündigungsschutzgesetze "im Lichte der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung zugunsten der kirchlichen Selbstbestimmung auszulegen" seien. Die Interessen der Kirche genießen also einen grundsätzlichen Vorrang. Allerdings weist auch das BVerfG darauf hin, dass die Schutzpflichten des Staates gegenüber Arbeitnehmern aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht vernachlässigt werden dürften.
Von daher hätten die staatlichen Gerichte in zwei Schritten zu prüfen: Zunächst müsse festgestellt werden, ob die Organisation oder Einrichtung, die als Arbeitgeberin auftritt, auf Grundlage des Selbsverständnisses der Kirche auch tatsächlich an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhat. Zudem müssen die Arbeitsgerichte prüfen, welches Gewicht ein Verstoß gegen bestimmte Loyalitätspflichten nach dem kirchlichen Selbstverständnis hat. Dabei seien die staatlichen Gerichte allerdings darauf beschränkt, die Darlegungen des kirchlichen Arbeitgebers auf ihre Plausibilität hin zu prüfen. Eigene Wertungen verböten sich. Wo es Zweifel gibt, sei ein theologisches Sachverständigengutachten einzuholen.
Auf der zweiten Prüfungsebene folge dann eine Gesamtabwägung der kirchlichen Belange und der korporativen Religionsfreiheit mit den Grundrechten des Arbeitnehmers. Das einschränkende arbeitsrechtliche Gesetz müsse dabei im Lichte des Selbstbestimmungsrechts der Kirche betrachtet werden, deren Selbstverständnis nach Ansicht der Richter ein "besonderes Gewicht" hat. Die Interessen der Kirche dürften die Belange des Arbeitnehmers aber nicht prinzipiell überwiegen. Denn "absolute Kündigungsgründe" kenne das staatliche Arbeitsrecht nicht.
Ulf Nadarzinski, Kündigung wegen Zweitehe doch wirksam?: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13871 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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