60 Milliarden Euro, die ursprünglich zur Abfederung der Folgen der Corona-Pandemie vorgesehen waren, werden doch nicht mehr gebraucht. Die Bundesregierung will das Geld nun auch für den Klimaschutz verwenden. Vorerst geht das, so das BVerfG.
Zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachte Gelder im Bundeshaushalt dürfen nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zunächst weiter zugunsten des Klimaschutzes verwendet werden. Das höchste deutsche Gericht folgte einem Eilantrag der Union im Bundestag nicht, die Übertragung der Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro im Nachtragshaushalt 2021 zu stoppen. Es wird die Fragen aber in einem Hauptsacheverfahren im Detail prüfen, wie es am Donnerstag in Karlsruhe mitteilte (Beschl. v. 22.11.2022, Az. 2 BvF 1/22).
Hintergrund der Entscheidung ist ein fiskalpolitischer Streit zwischen der Union und der Bundesregierung. Der Bundeshaushalt 2021 sah ursprünglich eine Kreditermächtigung in Höhe von 180 Milliarden Euro vor. Als Reaktion auf die Corona-Pandemie wurde die Kreditermächtigung mit dem "Nachtragshaushaltsgesetz 2021" um weitere 60 Milliarden Euro aufgestockt. Möglich war das aufgrund eines Beschlusses des Bundestags, mit dem das Bestehen einer außergewöhnlichen Notsituation festgestellt wurde. In diesem Fall sieht Art. 115 Abs. 2 Satz 6 und 7 Grundgesetz (GG) vor, dass die grundgesetzlich festgeschriebene Grenze für Kreditaufnahmen (sog. Schuldenbremse) überschritten werden kann.
Im Verlauf des Haushaltsjahr 2021 zeigte sich dann aber, dass die 60 Milliarden Euro Aufstockung nicht benötigt wurden. Die Bundesregierung übertrug die nicht benötigte Kreditermächtigung daraufhin mit dem "Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021" rückwirkend auf den sogenannten "Energie- und Klimafonds" (EKF), ein unselbstständiges Sondervermögen des Bundes. Die Mittel aus dem EKF sollen neben der Abfederung der Pandemiefolgen auch für Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels eingesetzt werden. Der EKF wurde mittlerweile zu einem "Klima- und Transformationsfonds" weiterentwickelt.
Union: Klimawandel kein "exogener Schock"
Die Union sieht darin einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur notlagenbedingten Kreditaufnahme des Bundes. 197 Mitglieder der Unionsfraktion im Bundestag haben deshalb ein Normenkontrollverfahren eingeleitet. Verbunden wurde das Verfahren mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem der Normenkontrollantrag gesichert werden sollte.
Die Union argumentierte unter anderem, dass die Pandemie zwar eindeutig eine Naturkatastrophe sei, die eine Überschreitung der Schuldenbremse rechtfertige. Für den Klimawandel gelte das hingegen nicht. Beim Klimawandel handele es sich nicht um einen "exogenen Schock", den der Gesetzgeber im Blick gehabt habe, als er die Möglichkeit der notlagenbedingten Kreditaufnahme ausgestaltet habe. Der Klimawandel sei lange bekannt, erfordere langfristig und weitgreifend angelegtes Staatshandeln und stelle sich deshalb als im Rahmen der regulären Haushaltswirtschaft zu bewältigende strukturelle Zukunftsherausforderung dar. Begriffe man den Klimawandel als Notsituation im Sinne des Grundgesetzes, käme dies einer faktischen Abschaffung der Schuldenbremse gleich.
Das BVerfG lehnte den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung ab. Zwar sei der Antrag in der Hauptsache weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die Folgenabwägung ergebe aber, dass die Folgen einer einstweiligen Anordnung zu schwer wiegen würden, sollte sich später im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass die Änderungen doch verfassungskonform sind.
Einstweilige Anordnung würde zu erheblichen Belastungen führen
Der Senat hielt es dabei nicht für ausgeschlossen, dass die Zuführung von Kreditermächtigungen an den EKG gegen die Schuldenbremse verstößt. In einer Mitteilung führte das BVerfG eine Reihe von Problemen auf, die im Hauptsacheverfahren zu klären seien. Allerdings käme die einstweilige Anordnung faktisch einer Außervollzugsetzung des angegriffenen "Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021" gleich. Dies hätte eine erhebliche Mehrbelastung für Verbraucher und Unternehmer zur Folge.
Als Beispiel nannte der Zweite Senat, dass die sogenannte EEG-Umlage dann womöglich nicht mehr aus den umgeschichteten Mitteln finanziert werden könnte, was mit einer Strompreiserhöhung verbunden wäre. Zudem müssten Kürzungen und Streichungen an Programmen wie der Förderung für effiziente Gebäude oder der Umweltbonus für E-Autos gekürzt oder gestrichen werden, was ein Verfehlen der CO2-Ziele nach sich ziehen könnte. Wegen der Verpflichtungen aus dem Klimaschutzgesetz müsse dann über alternative Programme nachgesteuert werden, die ihrerseits neuerliche Haushaltsbelastungen mit sich bringen könnten. Auch die Überwindung der Corona-Pandemie in ökonomischer Hinsicht könne jedenfalls mittelfristig nicht mehr ohne Weiteres erreicht werden.
Keine irreversiblen Nachteile
Die Nachteile die entstehen würden, sollten sich die Regelungen später als verfassungswidrig herausstellen, seien dagegen nicht irreversibel. Es sei davon auszugehen, dass die Kreditermächtigung bis zur Hauptsacheentscheidung nicht in voller Höhe aufgebraucht sein werde.
Union-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) hatte bei der Vorstellung des Antrags betont, diese richte sich nicht gegen ausreichende Mittel zur Bewältigung der Klimakrise. Die Union wende sich ausschließlich gegen eine haushälterische Maßnahme.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) begrüßte die Entscheidung. "Karlsruhe hat eine gute Nachricht für viele, viele Menschen in unserem Land gesendet", sagte Lindner am Donnerstag in Berlin. Lindner sagte, auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) könne sich bestärkt fühlen, da er den zweiten Nachtragshaushalt 2021 noch als Finanzminister konzeptionell vorbereitet habe. Dieser sei auch ein Bestandteil des Koalitionsvertrages. "Das Bundesfinanzministerium schaut nun auf das Hauptsacheverfahren. Wir haben der Entscheidung entnommen, dass das Verfassungsgericht hier auch neue Auslegungen des Grundgesetzes sich vorgenommen hat", sagte Lindner. Es werde Bedarf gesehen, "höchstrichterlich die Schuldenbremse zu konkretisieren".
CDU-Fraktionsvize Mathias Middelberg sagte am Donnerstag in Berlin, das Gericht habe schon in seiner jetzigen Entscheidung "sehr dezidiert Fragen und auch Zweifel" erkennen lassen. Insoweit sei es nun nicht nur ein Warntag für die Bevölkerung, an dem Sirenen ausprobiert werden, sondern "auch ein Warntag für den Bundesfinanzminister".
Mit Materialien der dpa
BVerfG billigt vorerst Übertragung von Kreditermächtigung auf Energie- und Klimafonds: . In: Legal Tribune Online, 08.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50407 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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