In den deutschen Parlamenten sind die Männer klar in der Überzahl. Muss der Gesetzgeber für ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis sorgen? Nein, sagt das BVerfG. Erledigt ist das Thema damit noch nicht.
Im aktuellen Bundestag sind nicht einmal ein Drittel der Abgeordneten Frauen - das liegt auch daran, dass die Parteien weniger Frauen als Männer für Direktmandate und auf den vorderen Listenplätzen aufstellen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wies in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss eine Wahlprüfungsbeschwerde von zehn Frauen als unzulässig zurück (Beschl. v. 15.12.2021, Az. 2 BvC 46/19). Die Frauen machten geltend, dass der Gesetzgeber dafür sorgen müsste, dass alle Parteien ebenso viele weibliche wie männliche Kandidaten aufstellen.
Keine Verpflichtung des Gesetzgebers für ein Paritätsgesetz
Die Antragstellerinnen hatten argumentiert, dass der geringe Frauenanteil im Bundestag von vornherein absehbar gewesen sei. Tatsächlich war bei der Wahl 2017 nur jeder vierte Direktkandidat weiblich. Bei den ersten fünf Listenplätzen der Parteien lag der Frauenanteil im Durchschnitt bei 34,7 Prozent. Formal hatten die Frauen - damals noch gemeinsam mit einem Mann - Einspruch gegen die Bundestagswahl 2017 erhoben. Diesen hatte der Bundestag 2019 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Beschwerde.
Die Frauen wollten feststellen lassen, dass der Gesetzgeber verpflichtet gewesen wäre, für die Wahl eine solche Regelung zu erlassen. Damit hatten sie keinen Erfolg. Der Gesetzgeber sei "nur in seltenen Ausnahmefällen" zu einem konkreten Handeln verpflichtet, erklärte der Zweite Senat unter Vizegerichtspräsidentin Doris König. Dies bedürfe einer besonderen Begründung - die die Frauen nicht geliefert hätten. Staatliche Organe hätten grundsätzlich in eigener Verantwortung zu entscheiden, wie sie dem Gleichstellungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz Rechnung tragen und die Frauen hätten hier nicht dargelegt, warum der gesetzgeberische Spielraum hier auf ein Paritätsgebot verengt sein solle.
Zudem sei, so führt das BVerfG aus, nicht nur der Gleichstellungsauftrag, sondern auch die Freiheit der Wahl und die Parteienfreiheit im Grundgesetz verankert und die Antragstellerinnen hätten sich nicht damit auseinandergesetzt, inwiefern in deren Schutzbereiche eingegriffen werde. Außerdem gab das Gericht zu bedenken, dass Abgeordnete nicht einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, sondern dem ganzen Volk gegenüber verantwortlich seien. Es komme also gerade nicht darauf an, dass das Parlament ein "verkleinertes Abbild" der Wählerschaft sei
Keine Verpflichtung – aber dennoch eine Möglichkeit für ein solches Gesetz?
Prof. Dr. Silke Ruth Laskoski, Anwältin der beschwerdeführenden Frauen, erklärt: "Damit wird deutlich, dass das BVerfG – anders als die Landesverfassungsgerichte in Weimar und Potsdam – paritätische Wahlgesetze nicht als offensichtlich verfassungswidrig betrachtet; insoweit nimmt das BVerfG die Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte zwar zur Kenntnis, es bestätigt diese Rechtsprechung aber nicht."
In Deutschland hatten Thüringen und Brandenburg versucht, ein solches Gesetz einzuführen. Danach sollten die Listen für die Landtagswahl abwechselnd mit Männern und Frauen besetzt werden. Beide Gesetze wurden aber von den Landesverfassungsgerichten vergangenes Jahr für nichtig erklärt. Dagegen sind zwei Verfassungsbeschwerden beim BVerfG anhängig. Wann darüber entschieden wird, ist allerdings noch nicht absehbar. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hatte 2018 eine Popularklage abgewiesen, die zum Ziel hatte, den Gesetzgeber zum Erlass eines Paritätsgesetzes zu verpflichten. Auch dagegen ist eine Verfassungsbeschwerde anhängig.
Die Flensburger Rechtsprofessorin Dr. Anna Katharina Mangold betonte gegenüber LTO, dass der Beschluss des BVerfG keine Absage an ein Paritätsgesetz sei: "Für die Einordnung und Bewertung des Beschlusses ist der Kontext wichtig: Es ist sehr schwierig, einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf genau eine legislative Maßnahme zu konstruieren. Solch ein Anspruch ist nur bei evidenter Verletzung des Untermaßes grundrechtlich gebotener Leistungen denkbar, was aufwändig nachzuweisen gewesen wäre. In seiner detaillierten Auseinandersetzung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für etwaige Paritätsgesetzgebung gibt der Senat Orientierung bei diesem wichtigen politischen Anliegen." Das BVerfG habe dem Gesetzgeber mit seinem heutigen Beschluss "eine Art Bastelanleitung an die Hand gegeben, sollte sich eine politische Mehrheit finden, die an der Unterrepräsentation von Frauen im Deutschen Bundestag etwas zu ändern vorhat", führt Mangold aus.
Aktuell sind 223 von 709 Abgeordneten Frauen
Aktuell besteht der Deutsche Bundestag aus 709 Abgeordneten, davon sind 223 Frauen. Das sind 31,4 Prozent. 2013 lag ihr Anteil immerhin bei 37,3 Prozent - ein deutlicher Fortschritt gegenüber früheren Jahrzehnten, aber ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis liegt damit noch nicht vor. Diese Unausgeglichenheit hat allerdings nicht nur mit der Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten zu tun. In sämtlichen größeren Parteien sind die weiblichen Mitglieder deutlich in der Unterzahl.
Besonders niedrige Frauenanteile finden sich aktuell in den Fraktionen von AfD (10,2 Prozent), CDU/CSU (20,7 Prozent) und FDP (23,8 Prozent). In der Mehrheit sind weibliche Abgeordnete nur bei Grünen (56,7 Prozent) und Linken (53,6 Prozent). Befürworter eines sogenannten Paritätsgesetzes wollen, dass der Gesetzgeber eingreift und den Parteien für die Nominierung ihrer Kandidaten eine Geschlechterquote vorgibt. Derartige Regelungen gibt es bereits in anderen Ländern, beispielsweise in Frankreich.
Ulle Schauws, die frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, zeigte sich nach dem Beschluss weiter hoffnungsfroh und erklärte, der Weg für ein Paritätsgesetz für den Bundestag sei weiterhin offen. "Wir werden weiter nach geeigneten Maßnahmen suchen, um Frauen die Hälfte der Macht und der Mitbestimmung zu sichern und eine verfassungskonforme Lösung zu finden", kündigte sie an. Auch die SPD-Linke sieht in der Entscheidung keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. AfD-Fraktionsvize Beatrix von Storch sagte hingegen, die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen sei seit Jahrzehnten erreicht.
ast/LTO-Redaktion mit Materialien der dpa
Gesetzgeber muss kein Paritätsgesetz schaffen: . In: Legal Tribune Online, 02.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44162 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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