Will ein Gericht eine Äußerung per einstweiliger Verfügung untersagen, muss es den Betroffenen stets zuvor anhören. Dies unterstrich das BVerfG nun erneut in einem Streit zwischen zwei Polizeigewerkschaften.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einem Beschluss vom Mittwoch erneut bekräftigt, dass in äußerungsrechtlichen Eilverfahren der Betroffene stets angehört werden muss, bevor gegen ihn entschieden wird. Dies gilt auch dann, wenn aufgrund besonderer Eilbedürftigkeit keine mündliche Verhandlung durchgeführt wird (Beschl. v. 03.06.2020, Az. 1 BvR 1246/20).
In dem Verfahren, das der Entscheidung zugrunde lag, stritten zwei Polizeigewerkschaften um eine Äußerung im Rahmen der Vorbereitung der Personalratswahlen bei der Bundespolizei. Zwei Gewerkschaften, der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und die DPolG Bundespolizeigewerkschaft (DPolG) wollten die Wahl aufgrund der Corona-Pandemie verschieben, was der Hauptwahlvorstand allerdings ablehnte.
Die DPolG veröffentlichte daraufhin auf ihrer Website ein Statement unter der Überschrift "Ohne Rücksicht auf Verluste – DPolG und BdK fassungslos! GdP-geführter Hauptwahlvorstand hält am Wahltermin fest und vergibt große Chance!". Darin hieß es u. a.: "Da es keine sachlichen Gründe gegen eine Verschiebung der Wahl gibt und es bei der Ablehnung unserer Initiative offenbar ausschließlich darum ging, Machtspielchen auf dem Rücken der Beschäftigten der Bundespolizei auszutragen, ist es jetzt um so wichtiger, von Ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und das Kreuz an die richtige Stelle des Stimmzettels zu setzen."
BVerfG 2018: Grundsatz der Waffengleichheit
Hinter der GdP verbirgt sich die Gewerkschaft der Polizei, genauer deren Bundespolizeigewerkschaft, welche daraufhin von der DPolG schriftlich die Unterlassung dieser Äußerung forderte, da sie auf falschen Tatsachenbehauptungen basiere. Die DPolG lehnte die Abgabe einer Unterlassungserklärung ab. Zudem hinterlegte sie eine Schutzschrift beim allgemeinen elektronischen Register und wies außerdem vorsorglich auf die Rechtsprechung des BVerfG hin, wonach in einem einstweiligen Verfügungsverfahren der Betroffene stets anzuhören sei.
Im September 2018 hatte das BVerfG bereits auf Anträge des Nachrichtenmagazins Spiegel und des Recherchenetzwerks Correctiv klargestellt, dass der verfassungsrechtliche Anspruch auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verletzt wird, wenn vor Erlass einer Verfügung dem Antragsgegner keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. Zwar könne ein Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden, wenn die Sache besonders dringlich sei - eine Partei aber vom Verfahren praktisch völlig auszuschließen, sei nicht zulässig.
Mitte April beantragte die vom Berliner Anwalt Johannes Eisenberg vertetene GdP beim Landgericht (LG) Berlin eine einstweilige Anordnung, um der Konkurrentin die beanstandete Aussage verbieten zu lassen. Darin setzte man sich auch mit deren Erwiderung im außergerichtlichen Briefwechsel auseinander und stellte einen Hilfsantrag, der inhaltlich zuvor nicht zur Sprache gekommen war. Dabei fügte die GdP zwar das Erwiderungssschreiben der DPolG bei, nicht aber dessen umfangreiche Anlagen. Das LG hörte die DPolG daraufhin nicht mehr an, sondern erließ eine einstweilige Anordnung, mit der es den ursprünglichen Antrag zwar zurückwies, den Hilfsanträgen aber z. T. stattgab. Eine nähere Begründung für seine Entscheidung lieferte das Gericht nicht. Auf den Widerspruch der DPolG hin bestimmte das LG doch noch einen Termin zur mündlichen Verhandlung. Stattfinden sollte der Anfang Juli.
Terminierung im Juli zeigt wenig Eilbedürftigkeit
Die DPolG, die sich in der Sache von der Kölner Marken- und Medienrechtskanzlei Höcker vertreten lässt, erhob gegen die Entscheidung Verfassungsbeschwerde und beantragte ihrerseits in Karlsruhe eine einstweilige Anordnung. Diese erließ das BVerfG nun auch. Und lässt dabei klar erkennen, dass man für den Beschluss der Berliner Kollegen wenig Verständnis hatte. Die Verfassungsbeschwerde sei angesichts des Beschlusses aus 2018, auf den die DPolG hingewiesen hatte, "offensichtlich zulässig und begründet".
Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit gebiete es, in gerichtlichen Verfahren der Gegenseite vor einer Entscheidung die Gelegenheit zu geben, sich zu äußern und damit auf die Entscheidung Einfluss zu nehmen. Lediglich in Ausnahmefällen, wenn eine Anhörung den Zweck der einstweiligen Verfügung vereiteln würde, könne darauf verzichtet werden. Eine solche Eilbedürftigkeit hätten aber wohl auch die Berliner Richter nicht gesehen, so die 2. Kammer des Ersten Senats, da das LG den Termin für die mündliche Verhandlung schließlich erst für Juli anberaumt habe.
Auch der dem LG bekannte vorprozessuale Schriftwechsel könne die Anhörung durch das Gericht in diesem Fall nicht ersetzen, befanden die Karlsruher Richter. Denn in ihrem Antrag war die GdP auf die Erwiderung der DPolG ein- und über die ursprüngliche Begründung in der Abmahnung hinausgegangen. Damit hatte man in den Augen der Kammer einen Vorteil, der nicht mit dem Grundsatz der Waffengleichheit zu vereinbaren war.
Auch Corona ist keine Entschuldigung
Schließlich hielt das BVerfG in seiner am Freitag veröffentlichten Entscheidung noch fest, dass auch die angespannte Situation aufgrund der Corona-Pandemie, die auch die deutschen Gerichte vor Herausforderungen stellt, das Verfahren des LG nicht rechtfertigen könne. Die Möglichkeit einer Anhörung sei zu keinem Zeitpunkt derart reduziert gewesen, "dass dies ein Abgehen von den grundlegenden gerichtlichen Verfahrenspflichten hätte rechtfertigen können". Das BVerfG setzte den Beschluss damit nun bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache oder bis zu einer erneuten Entscheidung des LG Berlin aus, maximal jedoch für die Dauer von sechs Monaten.
Die Berliner Richter müssen nun also erneut in der Sache entscheiden, in die das BVerfG eingegriffen hat - eine durchaus interessante Konstellation. Rechtsanwalt Dr. Christian Conrad von der Kanzlei Höcker, der die DPoLG in dem Verfahren vertritt, geht davon aus, dass die Richter durch die nun entstandene öffentliche Aufmerksamkeit für das Verfahren hinreichend sensibilisiert seien. So äußerte er sich gegenüber LTO vorsichtig optimistisch im Hinblick auf das weitere Verfahren: "Wir gehen frohen Mutes in die mündliche Verhandlung".
mam/LTO-Redaktion
BVerfG zum Äußerungsrecht: . In: Legal Tribune Online, 05.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41817 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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