Das Chancen-Aufenthaltsrecht hat den Bundestag passiert. Mehrere Zehntausend Menschen, die mit einer Duldung in Deutschland leben, erhalten so die Chance auf einen langfristigen Aufenthalt. Die Union und der DAV üben Kritik.
Nach einem heftigen Schlagabtausch zwischen der Ampel-Koalition und Innenpolitikern der Unionsfraktion hat der Bundestag das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht verabschiedet. Es soll gut integrierten Ausländern, die schon mehrere Jahre ohne gesicherten Status in Deutschland leben, eine Perspektive in Deutschland bieten.
Wer zum Stichtag 31. Oktober 2022 fünf Jahre im Land lebt und nicht straffällig geworden ist, soll 18 Monate Zeit bekommen, um die Voraussetzungen für einen langfristigen Aufenthalt zu erfüllen. Dazu gehören etwa Deutschkenntnisse und die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts.
Für den Gesetzentwurf der Koalition votierten am Freitag in einer namentlichen Abstimmung 371 Abgeordnete. 226 Parlamentarier stimmten dagegen, 57 enthielten sich.
Kritik von der Union
In der abschließenden Beratung warf die Union der Ampel-Koalition vor, mit ihrem geplanten Chancen-Aufenthaltsrecht abgelehnte Asylbewerber zu belohnen, die über Jahre nicht zu einer Klärung ihrer Identität beigetragen hätten. Sie stünden am Ende besser da als ehrliche Ausländer, die ihre Identität offenlegten und dadurch leichter abgeschoben werden könnten.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) sagte, es wäre besser, sich "auf die wirklich Schutzberechtigten" zu fokussieren. Für gut integrierte, langjährig Geduldete gebe es heute schon genügend Ausnahmen und pragmatische Lösungen.
Clara Bünger (Linke) wies darauf hin, "dass es Länder und Botschaften gibt, die diese Papiere nicht ausstellen". Der CDU-Politiker Detlef Seif räumte ein: "Diesen Personenkreis, den sie geschildert haben, den gibt es." Durch die Reform der Ampel-Koalition werde dieses Problem aber nicht gelöst.
Der SPD-Innenpolitiker Helge Lindh sagte, dass sich viele Menschen in Deutschland niederlassen und integrieren wollten, sei "ein Kompliment für dieses Land". Es sei Zeit, mit der "verkrampften Einwanderungs- und Asylpolitik" aufzuhören, forderte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann. Sein Fraktionskollege Adis Ahmetovic berichtete von seiner eigenen, schwierigen Zeit als Geduldeter. Er sagte, das Chancen-Aufenthaltsrecht sei "ein Zeichen im Sinne von Fairness, Partizipation, Anerkennung und Respekt".
Auch in den Wahlkreisen vieler Unionsabgeordneten gebe es viele Unternehmen, in denen Menschen arbeiteten, die von der Neuregelung profitieren könnten, sagte die Grünen-Migrationsexpertin Filiz Polat.
Aufenthaltstitel wird grundsätzlich nur erteilt, wenn Identität geklärt ist
Der Gesetzentwurf hält im Grundsatz daran fest, dass nur dann ein Aufenthaltstitel erteilt werden soll, wenn die Identität geklärt ist. Er bietet diese Möglichkeit jedoch auch dann, wenn ein Ausländer "die erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen" hat.
Die FDP hatte in den parlamentarischen Beratungen darauf gedrungen, dass nur von der neuen Regelung profitieren kann, wer nach Abschluss seines Asylverfahrens mindestens ein Jahr mit einer Duldung in Deutschland verbracht hat. Damit wollen die Liberalen verhindern, dass womöglich jemand schon nach einem sehr langen Asylverfahren und einer an praktischen Hürden gescheiterten Abschiebung zum Kreis derjenigen gehört, die für einen langfristigen Aufenthalt infrage kommen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte: "Die bisherige Praxis der Kettenduldungen beenden wir. Damit beenden wir auch die oft jahrelange Unsicherheit für Menschen, die schon längst Teil unserer Gesellschaft geworden sind."
DAV: "Extremer Rückschritt für Heranwachsende und junge Volljährige"
Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) übt Kritik an dem neuem Aufenthaltsrecht: "Der zuletzt eingefügte Änderungsvorschlag der Regierungsfraktionen zum Entwurf des Chancen-Aufenthaltsrechts sowie der Bleiberechtsregelungen stellt für Heranwachsende und junge Volljährige einen extremen Rückschritt dar."
Die Bundesregierung demontiere das Bleiberecht für Heranwachsende und junge Volljährige, heißt es in der Pressemitteilung des DAV. Der Verein sieht eine Schlechterstellung von Geflüchteten, deren Asylverfahren sich über Jahre hingezogen habe oder noch hinziehe, gegenüber bereits langfristig Ausreisepflichtigen. Dieser Wertungswiderspruch sei nicht zu rechtfertigen, kritisiert der DAV.
dpa/cp/LTO-Redaktion
Nach kontroverser Debatte: . In: Legal Tribune Online, 02.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50357 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag