Im Streit um die Besetzung der Präsidentenstelle am BFH ist eine Entscheidung gefallen, damit tritt der Konflikt aber in die heiße Phase ein. Gut möglich, dass der Fall vor Gericht entschieden wird.
Nach monatelanger Vakanz und einem Disput mit den Präsidentinnen und Präsidenten der Bundesgerichte ist eine neue Führungsspitze für den Bundesfinanzhof (BFH) in Sicht - aber nur vorläufig. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat die Auswahlentscheidung für die Neubesetzung von Präsidenten- und Vizepräsident:innenstelle getroffen, wie eine Sprecherin am Mittwoch LTO bestätigte. Darüber hatte zuerst die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet. Um wen es sich handelt, wollte das Ministerium nicht mitteilen. Die Vernehmen nach sind es die beiden Kandidaten, an denen sich der andauernde Streit im vergangenen Jahr entzündet hatte.
Präsident am BFH soll demnach Hans-Josef Thesling werden, ein CDU-naher Beamter im nordrhein-westfälischen Justizministerium, zuvor Leiter des Finanzgerichts in Düsseldorf. Als Vizepräsidentin ausgewählt ist demnach Anke Morsch, derzeit Präsidentin des saarländischen Finanzgerichts und ehemalige SPD-Staatssekretärin.
Bei den Präsidentinnen und Präsidenten der Bundesgerichte war dies auf Widerstand gestoßen. Im Raum steht der Vorwurf, dass die Führungspositionen am BFH auf Kosten der fachlichen Eignung mit allein nach parteipolitischen Erwägungen ausgewählten Kandidaten besetzt werden sollen. Die Justizangehörigen warfen Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) vor, die fachlichen Anforderungen eigenmächtig außer Kraft gesetzt zu haben. Auch der BFH-Richterverein übte Kritik. Es geht um das Anforderungsprofil für die Besetzung von Senatsvorsitzendenposten, das BMJV wollte vor allem eine Voraussetzung zur Vorerfahrung an Bundesgerichten streichen. Später ruderte das Ministerium zurück, die Änderung liegt nun auf Eis.
"Streit wird womöglich vor VG ausgetragen"
Mit der Entscheidung zu den Spitzenposten tritt der Streit nun in eine besonders heikle Phase ein, in der ebendieses Anforderungsprofil zum Angriffspunkte werden könnte. Nach Informationen von LTO prüfen mehrere unterlegene Bewerber entsprechende rechtliche Schritte. Damit könnten sie die Ernennung der Kandidaten verhindern, und das für eine geraume Zeit. Dem ohnehin mit Vakanzen hadernden BFH könnte letztlich eine sehr unangenehme Schwebezeit drohen. Beobachterinnen und Beobachter dürften sich an den Streit um die Beförderung von Thomas Fischer am BGH erinnert fühlen, der eine Zeit lang bei zwei Senaten den Vorsitz blockierte. Und auch für die BFH-Kandidatin dürften sich damit unangenehme Fragen stellen: Eigentlich, so soll es in der Großen Koalition vereinbart sein, soll sie direkt nach ihrem Einstieg am BFH zur Vizepräsidentin aufsteigen. Im Fall von Konkurrentenklagen würde daraus erstmal nichts, sie bliebe dann erstmal "einfache" Richterin mit Senatsvorsitz. Am meisten dürfte der immer öffentlicher ausgetragene Konflikt gerade auch den Bewerbern schaden.
Auch das BMJV rechnet offenbar mit rechtlichen Schritten. Eine Sprecherin sagte am Mittwoch gegenüber LTO: "Die Auswahlentscheidung war unter mehreren Bewerberinnen und Bewerbern zu treffen. Die Unterlegenen haben nun die Möglichkeit, die Auswahlentscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen. Im Hinblick darauf bitten wir um Verständnis, dass wir derzeit aus Achtung vor etwaigen gerichtlichen Verfahren und der zu wahrenden richterlichen Unabhängigkeit von einer öffentlichen Stellungnahme zu dem noch laufenden Verfahren absehen."
Deutlich Worte kommen von anderen Bundesgerichten. "Was wir am Bundesfinanzhof sehen, ist ein Schritt in die falsche Richtung", kritisierte in der FAZ Klaus Rennert, der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts.
Auch nach der Ernennung eines neuen BFH-Präsidiums können die abgewiesenen Kandidaten noch vor dem Verwaltungsgericht Klage einreichen. "Der Streit um die Besetzung der Vizepräsidentenstelle beim Bundesfinanzhof wird nun möglicherweise vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen", sagte Matthias Loose, der stellvertretende Vorsitzende des Richtervereins am BFH gegenüber LTO. "Es ist zu bedauern, dass es so weit kommen musste."
Der frühere Präsident Rudolf Mellinghoff war im Sommer pensioniert worden, seine Stellvertreterin im Herbst. Streit gab es insbesondere um die Besetzung der Vizestelle. Diese wurde bislang an allen Bundesgerichten traditionell mit einem Kandidaten aus den eigenen Reihen besetzt.
Die SPD-Politikerin Morsch hat zwar Erfahrung als Finanzgerichtspräsidentin, aber nicht am Bundesfinanzhof, an dem es in aller Regel um Revisionsentscheidungen geht. "Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik soll nach ihrem Vorschlag eine Vizepräsidentenstelle bei einem der Obersten Bundesgericht durch eine Kandidatin besetzt werden, die bislang über keine revisionsrichterliche Erfahrung verfügt", sagte Loose zu Lambrechts Entscheidung.
Mit Material der dpa
Markus Sehl und Pauline Dietrich, BMJV und Bundesgerichte: . In: Legal Tribune Online, 03.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44415 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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