Mieter, die vor längerer Zeit in eine unrenovierte Wohnung eingezogen sind, dürfen von ihren Vermietern Schönheitsreparaturen fordern, müssen sich aber anteilig an den Kosten beteiligen, so der BGH. Experten kritiseren das als wenig praktikabel.
Langjährige Mieter können ihren Vermieter zum Renovieren verpflichten, müssen sich aber an den Kosten beteiligen. Das entschied der für das Mietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit einem am Mittwoch veröffentlichten Urteil zu Schönheitsreparaturen. Die Entscheidung gilt für Mieter, die ihre Wohnung in unrenovierten Zustand bezogen haben, wenn sich deren Zustand sich in der Zwischenzweit deutlich verschlechtert hat (Urt. v. 08.07.2020, Az. VIII ZR 163/18 u. VIII ZR 270/18).
So gut wie alle Mietverträge bürden die Schönheitsreparaturen, die nach der gesetzlichen Konzeption grundsätzlich der Vermieter zu tragen hat, dem Mieter auf. Das ist grundsätzlich auch erlaubt. Nicht jede gängige Klausel ist aber auch wirksam. So hat der BGH 2015 entschieden, dass Mieter, die eine unrenovierte Wohnung beziehen, diese nicht auf eigene Kosten renovieren müssen. Sonst müssten sie die Wohnung im ungünstigsten Fall schöner zurückgeben, als sie sie selbst übernommen haben.
Wer dann aber für Schönheitsreparaturen aufkommt, wenn diese nötig werden, war bis ungeklärt. Jetzt hatten die Richter zwei Fälle aus Berlin auf dem Tisch, in denen sich die in Anspruch genommenen Vermieter weigern, die Kosten zu übernehmen. Die Mieter sind 2002 und 1992 eingezogen, seither hat niemand die Wohnungen in Schuss gebracht.
Wer eine Renovierung fordert, muss sich an den Kosten beteiligen
Nach § 535 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) muss der Vermieter die Wohnung in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand überlassen und in diesem Zustand erhalten. Nur: Zum Ursprungszustand gibt es hier kein Zurück. Die Wohnungen sind, auch wenn sie bei Einzug unrenoviert waren, abgewohnter als zu Beginn. Würde der Vermieter renovieren, wäre ihr Zustand wiederum um einiges besser als zu Beginn des Mietverhältnisses.
Die Vorsitzende Richterin Karin Milger hatte deshalb in der mündlichen Verhandlung in der vergangenen Woche bereits eine Kompromisslösung skizziert. Danach könne der Mieter den Vermieter zum Renovieren verpflichten, müsste sich aber an den Kosten beteiligen, weil er durch die Schönheitsreparaturen eine Wohnung in einem besseren Zustand erhält, als er gemietet hat. Grundvoraussetzung wäre immer, dass sich der Zustand der Wohnung seit dem Bezug deutlich verschlechtert hat. Diese Auffassung hat der Senat nun auch in seinem Urteil bestätigt – und mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB begründet. Soweit nicht irgendwelche Besonderheiten vorliegen, werde dies regelmäßig eine hälftige Kostenbeteiligung bedeuten, so die Karlsruher Richter.
Der BGH teilte darüber hinaus mit, dass Vermieter gegen die von Mietern verlangten Schönheitsreparaturen ein Zurückbehaltungsrecht einwenden können, bis diese ihren Anteil an der Renovierung beglichen haben. Ein von Seiten der Mieter geforderter Kostenvorschuss für den Fall, dass der Vermieter mit den Arbeiten in Verzug geraten ist, müsste ebenfalls halbiert werden.
Salomonisches Urteil, aber nicht praktikabel?
Die verhandelten Fälle müssen nun am Landgericht (LG) in der Hauptstadt neu verhandelt werden. Verschiedene Kammern hatten dort einmal den Mieter und einmal den Vermieter in der Pflicht gesehen. Beide Urteile hob der BGH auf. Aber nicht nur die Berliner Richter werden sich nun mit den aufgeworfenen Fragen auseinander setzen müssen.
Der Deutsche Mieterbund kritisierte das Urteil als unverständlich. Der Vermieter habe den Mieter zu regelmäßigen Renovierungen verpflichten wollen - unabhängig vom Zustand der Wohnung. "Keine anderen Anforderungen dürfen aber dann für den Vermieter gelten, wenn die Abwälzung seiner Pflicht zur Instandhaltung der Wohnung auf den Mieter gescheitert ist. Es ist nicht einzusehen, weshalb hier mit zweierlei Maß gemessen wird", sagte Präsident Lukas Siebenkotten.
Auch für Dr. Martin Prothmann, Rechtsanwalt bei der Wirtschaftskanzlei CMS Hasche Sigle, kommt die Entscheidung überraschend. Dass der Vermieter zu Schönheitsreparaturen nur verpflichtet sein solle, wenn eine "wesentliche Verschlechterung" eingetreten sei, lasse sich dem Gesetz ebenso wenig entnehmen wie eine angemessene Kostentragungspflicht des Mieters. Deswegen habe der BGH tief in die "Kiste" greifen und mit Treu und Glauben argumentieren müssen, um zu dem aus seiner Sicht sachgerechten Ergebnis zu kommen", so der Immobilienrechtler. Er sieht schwierige Fragen auf die Praxis zukommen: "Wann liegt eine wesentliche Verschlechterung vor? Welche Kostenbeteiligung des Mieters ist angemessen? Kann sich der Mieter gegen die veranschlagten Kosten wehren?", skizzierte der Anwalt gegenüber LTO.
Mietrechtler Dominik Schüller sieht das gelassener. Seiner Meinung nach handelt es sich um eine salomonische Entscheidung, die sich in der Praxis gut umsetzen lassen werde. Es bleibe zwar Spielraum für Einzelfallentscheidungen, der BGH habe aber die mietrechtlichen Weichen in die richtige Richtung gestellt, so der Fachanwalt für Miet- und WEG-Recht aus Berlin gegenüber LTO. Durch die grundsätzlich vorgegebene Kostenteilung werde eine Prozessflut ausbleiben. Denn Mieter müssten sich sorgfältig überlegen, ob sie den Vermieter auch bei eigener Kostenbeteiligung in Anspruch nehmen wollen würden.
Unsicherheiten bald auch im Gewerbemietrecht?
Der Berliner Mieterverein geht dagegen davon aus, dass am Ende doch der Mieter den unrenovierten Zustand bei Einzug durch Eigeninitiative beseitigen werde, "da ihn dies billiger kommt", sagte Geschäftsführer Reiner Wild. Er nannte das Urteil "nicht nachvollziehbar, ungerecht und lebensfremd".
Der Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland befürchtet ein "wachsendes Misstrauen zwischen Mietern und Vermietern", die sich während des Mietverhältnisses nun immer im Einzelfall verständigen müssten. Auch einer der Prozessvertreter vor dem BGH hatte schon während des Verfahrens gefragt: Was genau soll gemacht werden? Wer darf bestimmen, welche Farbe oder Tapete an die Wand kommt?". Haus und Grund-Verbandspräsident Kai Warnecke warnte zudem vor steigenden Mieten. Sei der Vermieter verpflichtet, während eines laufenden Mietverhältnisses Schönheitsreparaturen auszuführen, müsse er diese Kosten in die Miete einpreisen, sagte er. Das treffe auch Mieter, die nur wenige Jahre in der Wohnung lebten und nicht in den Genuss einer Renovierung kämen.
Immobilienrechtler Prothmann von CMS geht zudem davon aus, dass die Auswirkungen des Urteils wahrscheinlich nicht auf Wohnungen beschränkt bleiben. In der Vergangenheit seien die Entscheidungen des BGH zu Schönheitsreparaturen im Wohnraummietrecht mit Zeitverzögerung auch auf das Gewerbemietrecht übertragen worden, so Prothmann. Nach den bisher bekannten Entscheidungsgründen des BGH sei die Argumentation in den beiden entschiedenen Fällen aus Berlin auch nicht wohnraumspezifisch.
mgö/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
BGH zu unrenoviert gemieteten Wohnungen: . In: Legal Tribune Online, 08.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42137 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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