Was die FIFA von Zürich aus dekretiert, das setzen die Verbände um – manchmal, ohne groß zu fragen. Dagegen hat der SV Wilhelmshaven sich vor dem BGH mit Erfolg gewehrt: Der Norddeutsche Fußballverband hätte ihn nicht zum Abstieg zwingen dürfen.
Nein, ihn muss man auch als eingefleischter Fußballfan nicht kennen: Der 400 Mitglieder starke SV Wilhelmshaven gehört zu den Schlusslichtern im deutschen Vereinswesen, derzeit spielt er in der Bezirksliga Weser/Ems, dem 7.* Glied in der Kette der Spielklassen also. Darüber rangieren die Landes- und darüber die Oberligen, gefolgt von den Regionalligen, an die sich die 3., 2. und schließlich die 1. Bundesliga anschließen. Von 2008/09 bis 2013/14 ging es dem SV noch vergleichsweise gut: Damals spielten die norddeutschen Kicker in der Regionalliga.
Doch zur Saison 2014/15 stiegen sie ab. Nicht wegen schlechter Spiele, sondern als Strafe dafür, dass sie sich geweigert hatten, zwei argentinischen Vereinen Ausbildungsvergütungen von insgesamt 157.500,00 Euro für einen Spieler zu zahlen, der dort seine Lehrjahre verbracht und 2007 für ein halbes Jahr im Dienste des SV gestanden hatte. Weil der Abstieg in die Oberliga aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich war, fiel der SV gleich zwei Spielklassen in die Landesliga, und von dort zuletzt infolge schlechter Ergebnisse noch einmal bis in die Bezirksliga. Sportlich sind die Wilhelmshavener damit bis auf Weiteres erledigt – ihren bislang größten Sieg konnten sie am Dienstag jedoch abseits vom Platz verbuchen.
FIFA kann nicht nach Gutdünken "herabregieren"
Denn der BGH gab der Klage statt, mit der der Verein die Rechtswidrigkeit des vom Norddeutschen Fußballverband (NFV) angeordneten Zwangsabstieges feststellen lassen wollte (Urt. v. 20.09.2016, Az. II ZR 25/15). Der Club forderte daraufhin die Wiedereingliederung in die Regionalliga und Schadensersatz. Der Verein habe durch den Zwangsabstieg Einbußen in siebenstelliger Höhe erlitten, sagte Aufsichtsrat Harald Naraschewski nach der Urteilsverkündung am Dienstag in Karlsruhe. "Wir waren immer zu einer gütlichen Regelung bereit und sind es auch jetzt." In der Bringschuld seien aber der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und der NFV. "Es steht fest, dass man dem Verein Unrecht getan hat."
Das stimmt, wenn auch in einem eher technischen Sinne. Denn der BGH hat nicht darüber geurteilt, ob der SV verpflichtet war, die Ausbildungsvergütungen zu zahlen, und auch nicht darüber, ob ein Zwangsabstieg als Strafe für ihre Nichtbezahlung angemessen ist. Die Entscheidung erschließt sich vielmehr aus den Zuständigkeiten der beteiligten Akteure.
Denn die Bestimmungen, nach denen Vereine einander Ausbildungsentschädigungen zu zahlen haben, ergeben sich nicht aus dem Reglement des NFV, sondern aus dem der FIFA – dasselbe gilt auch für die Sanktionen im Fall der Säumnis. Der SV Wilhelmshaven ist aber nicht Mitglied der FIFA, sondern Mitglied des NFV – der wiederum ist Mitglied des DFB, und nur dieser gehört der FIFA an. Dennoch hatte die FIFA die Höhe der Ausbildungsentschädigung festgesetzt, und später auch den Zwangsabstieg angeordnet – gegen beide Entscheidungen hatte der SV erfolglos vor dem internationalen Sportschiedsgericht (CAS) in Lausanne geklagt.
Verbände regeln ihre Angelegenheiten lieber unter sich
Die FIFA hätte nun versuchen können, diese Schiedsurteile in Deutschland vollstrecken zu lassen. Das hätte aber Zeit gekostet und zudem eine (eingeschränkte) Überprüfung der von ihr getroffenen und vom CAS bestätigten Maßnahmen durch die nationalen Gerichte mit sich gebracht, was die internationalen Sportverbände in der Regel so weit wie möglich zu vermeiden suchen. Statt auf staatliche Vollstreckung zu setzen, vertraute die FIFA also auf ihre eigene Macht, und wies den DFB an, den Abstieg zu vollziehen, was dieser an den NFV weiterreichte. Der wiederum sah sich lediglich in der Rolle eines Gerichtsvollziehers, und führte aus, was ihm von oben aufgegeben ward.
Zu Unrecht, wie der BGH klarstellt. Denn bindend ist für die Kicker aus Wilhelmshaven als Mitglied des NFV nur dessen Satzung – und dort ist von Disziplinarstrafen bei nicht gezahlter Ausbildungsentschädigung nicht die Rede. Einen Verweis auf die hierzu geltenden Bestimmungen im Reglement des DFB oder der FIFA sucht man ebenfalls vergebens. Auch in dem "Zulassungsvertrag Regionalliga", den der SV unmittelbar mit dem DFB geschlossen hatte, sei nichts dergleichen enthalten.
Und schließlich habe der SV den NFV auch nicht dadurch zur Durchsetzung der von FIFA oder DFB beschlossenen Sanktionen ermächtigt, dass er am Spielgeschehen teilnahm. Wer an verbandsmäßig organisiertem Sport teilnehme, unterwerfe sich zwar, so die Bundesrichter, automatisch den Wettkampfregeln des zuständigen Verbandes – aber die Regeln zur Sanktionierung vorenthaltener Ausbildungsentschädigungen seien keine "Wettkampfregeln" in diesem Sinne.
Keine Grundsatzentscheidung zu Ausbildungsvergütungen
Ausdrücklich offen ließ der BGH die Frage, ob der Zwangsabstieg schon deshalb rechtswidrig gewesen sei, weil die Festsetzung der Ausbildungsvergütung ihrerseits gegen Europarecht verstoße. Das OLG hatte dies zuvor bejaht, denn eine solche Vergütung erschwere faktisch den Vereinswechsel und beschränke somit indirekt das Recht des betroffenen Spielers (der italienischer Staatsbürger war) auf Freizügigkeit (Urt. v. 30.12.2014, Az. 2 U 67/14). Die Ausbildungsvergütung könne zwar als Mittel zur Nachwuchsförderung gerechtfertigt sein. Dies setze allerdings voraus, dass ihre Höhe sich an den tatsächlich angefallenen Ausbildungskosten und nicht, wie derzeit üblich, am Marktwert des Spielers zum Zeitpunkt des Transfers orientiere.
Ebendiese Probleme wären auch beim Versuch einer staatlichen Vollstreckung des die Abstiegsentscheidung bestätigenden CAS-Urteils virulent geworden – die FIFA wird also wohl auch in Zukunft versuchen, entsprechende Beschlüsse unmittelbar durch die nationalen Verbände ausführen zu lassen. Wie diese dafür ihre Satzungen anpassen müssen, können sie ja nun beim BGH nachlesen.
Mit Materialien von dpa.
* Anm. d. Red.: Hier stand zunächst unzutreffend, die 7. sei die unterste der Spielklassen. Geändert am 20.09.2016, 17:18
Constantin Baron van Lijnden, BGH: Fußballvereine nicht automatisch an FIFA-Reglement gebunden: . In: Legal Tribune Online, 20.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20634 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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