Die Telemedizin hat nicht zuletzt durch Corona einen Schub erlebt. Werbung für ärztliche Fernbehandlungen per App durch Mediziner im Ausland ist aber unzulässig, weil dies noch kein allgemein medizinischer Standard sei, so der BGH.
Zu pauschal angelegte Werbung für "digitale Arztbesuche" verstößt nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) gegen geltendes Recht. Dabei gehe es um Marktverhaltensregelungen, die dem Gesundheitsschutz dienten, sagte der Vorsitzende Richter des ersten Zivilsenats, Thomas Koch, am Donnerstag in Karlsruhe (Urt. v. 09.12.2021, Az. I ZR 146/20).
Die private Krankenversicherung Ottonova aus München hatte das Angebot einer Fernbehandlung per App bei Ärzten in der Schweiz beworben. Die Wettbewerbszentrale sah darin einen Verstoß gegen § 9 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) und klagte erfolgreich auf Unterlassung. Danach durften die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht (Fernbehandlung), nicht beworben werden. Ein Arzt müsse einen Patienten zum Beispiel abtasten und abhören sowie Daten zum Kreislauf erheben können.
Dem stimmten auch die Karlsruher Richterinnen und Richter zu. Eine Behandlung erfordere die gleichzeitige physische Präsenz von Arzt und Patient und sei im Rahmen einer Videosprechstunde nicht möglich.
BGH: Fernbehandlungen entspricht nicht allgemein medizinischen Standards
Etwas kompliziert wird die Sache, weil der maßgebliche § 9 im HWG im Laufe des Verfahrens um einen zweiten Satz ergänzt worden war. Dieser berücksichtigt "Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen". Mit diesen Medien seien zwar auch Apps gemeint, räumte der Senat ein. "Das gilt aber nur, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist."
Solche Standards seien aber nicht Regelungen des Berufsrechts, heißt es in dem Urteil. Der Begriff entspräche vielmehr den allgemein anerkannten fachlichen Standards aus § 630 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der die Pflichten aus einem medizinischen Behandlungsvertrag regelt. Danach können sich solche Standards auch erst im Laufe der Zeit entwickeln, zum Beispiel aus den Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften.
Die Krankenversicherung habe aber mit einer "umfassenden ärztlichen Primärversorgung" samt Diagnose, Therapieempfehlung und Krankschreibung im Wege der Fernbehandlung geworben, die zurzeit eben noch nicht allgemeinen fachlichen Standards entspreche, so der BGH.
"Eine Werbung für eine allgemeine Fernbehandlung ist damit ausgeschlossen", sagt Dr. Constantin Rehaag, Partner bei der Wirtschaftskanzlei Dentons, gegenüber LTO. Das Urteil zeige, dass nicht nur ein rein juristischer Maßstab anzulegen sei. In eine lauterkeitsrechtliche Prüfung müssten auch medizinische Kriterien mit einfließen.
"Systematische Schranken der Digitalisierung müssen abgebaut werden"
Ottonova-Gründer und Vorstandschef Roman Rittweger zeigte sich enttäuscht. "Aber es ist gut, dass wir Klarheit haben." Der Leiter der Rechtsabteilung, Thomas Oßwald, findet es laut Mitteilung schwer nachvollziehbar, dass die Fernbehandlung einerseits von der Politik gewollt und vom Gesetzgeber erlaubt, die Werbung dafür aber verboten sei. Auch in den Vorinstanzen war die Versicherung unterlegen.
Ähnliches Unverständnis äußerte Roland Wiring, Fachanwalt für Medizinrecht und Partner bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland: "Die enge Lesart des BGH ist mit dem politischen Ziel, die Telemedizin und die Digitalisierung des Gesundheitswesens weiter zu stärken, nur schwer in Einklang zu bringen." So mancher hätte sich einen mutigeren Ansatz gewünscht, teilte er mit. "Hier wäre der Gesetzgeber gefordert, weitere Öffnungen zu ermöglichen."
Das sieht auch Nico Hribernik so, Mitgründer von Wellster, einem Anbieter für digitale Gesundheitsplattformen: "Das heutige Urteil zeigt leider sehr deutlich, welche Aufgabe dafür von unserem neuen Gesundheitsminister gemeistert werden muss: Es gilt, die systematischen Schranken der Digitalisierung endlich abzubauen", sagte er laut Mitteilung. "Nur wenn digitale und analoge Medizin ineinandergreifen, können wir Menschen einen verbesserten Zugang zu ärztlicher Behandlung bieten und die Unterversorgung lösen."
mgö/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
BGH verbietet Werbung für "digitale Arztbesuche": . In: Legal Tribune Online, 09.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46891 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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