Eine Staatsanwältin unterbreitet einem psychiatrischen Gutachter am Gericht ein Angebot: Sex gegen Tabletten. Dieser willigt ein – und wird vom LG zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Der BGH hat ihn nun aber freigesprochen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat einen psychiatrischen Gutachter vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs einer Staatsanwältin freigesprochen (Beschl. v. 29.06.2016, Az. 1 StR 24/16). Das Landgericht (LG) München II hatte den promovierten Psychiater Thomas S. wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs- oder Behandlungsverhältnisses in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Psychiaters führt nun zur Aufhebung des Urteils und zum Freispruch.
S. wurde als Psychiater vom LG häufiger mit der Erstellung von Gutachten in Strafverfahren beauftragt. Dabei lernte er auch die Nebenklägerin kennen, damals Richterin am LG, die mit einem guten Freund von S. – dem verheirateten vorsitzendem Richter am LG München I – ein Verhältnis begonnen hatte. S. entwickelte ein gesteigertes Interesse an ihr. Bei einem gemeinsamen Abendessen offenbarte ihm die Frau eine seit mehreren Jahren bestehende Alkoholabhängigkeit.
Staatsanwältin nutzte sein Interesse an ihr aus
Etwa zwei Jahre später wurde die Nebenklägerin, die nunmehr als Staatsanwältin tätig war, nach einem zweiwöchigen Aufenthalt in einer Entzugsklinik von ihrem Vorgesetzten mit dem Vorwurf eines erheblichen Nachlasses ihrer Arbeitsleistung konfrontiert. Aufgrund dieser Drucksituation habe sie die Einnahme von angstlösenden Medikamenten erstrebt.
Während des Klinikaufenthalts war es vor dem Hintergrund einer früher bestehenden Benzodiazepin-Abhängigkeit zu einer langsamen Reduzierung und schließlich einer Absetzung zuvor verabreichter Medikamente gekommen. Die Staatsanwältin ging laut BGH davon aus, ihr behandelnder Arzt werde ihr diese Medikamente nicht mehr verschreiben. In dieser Situation kam sie auf den Gedanken, sich an S. zu wenden und sein Interesse an ihr auszunutzen, um ihn durch Aufnahme einer sexuellen Beziehung zur Verschreibung von Medikamenten zu bewegen. Zugleich wollte sie damit ihren früheren Kollegen ärgern, mit dem sie das Verhältnis gehabt hatte.
Diesen Plan setzte sie in der Folgezeit um und erreichte, dass S. ihr mehrfach die begehrten Medikamente verschrieb oder Blankorezepte überließ. Der Psychiater besorgte sich in diesem Zusammenhang frühere Arztberichte und beriet die Staatsanwältin über eine Änderung der Medikation. Weitergehende Avancen des Angeklagten, der mit ihr eine Lebenspartnerschaft beginnen und ein gemeinsames Kind haben wollte, wies sie zurück. Im Rahmen dieses mehrere Monate dauernden Verhältnisses kam es mehrfach zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen zwischen den beiden.
Der BGH hat, anders als das LG, das Verhalten des Gutachters als nicht strafbar angesehen und ihn deshalb auf der Grundlage der umfassenden rechtsfehlerfreien Feststellungen freigesprochen.
Handeln der Frau Ausdruck der sexuellen Selbstbestimmung
Der Fall sei davon gekennzeichnet, dass sich die Staatsanwältin bereits außerhalb eines Beratungs- und Behandlungsverhältnisses dazu entschlossen habe, den Psychiater für ihre Ziele zu instrumentalisieren, so das Gericht. Diese Entscheidung war nach Auffassung des Senats auch nicht mit wesentlichen Willensmängeln behaftet. Weil die Staatsanwältin dem Psychiater aufgrund ihrer beruflichen Stellung und Persönlichkeit zudem auf "Augenhöhe" begegnete, stellte sich das Handeln der Frau nach Auffassung des BGH im Ergebnis als Ausdruck ihrer sexuellen Selbstbestimmung und nicht als deren Missbrauch durch den Angeklagten dar.
Dem gesetzlichen Merkmal "Missbrauch" komme eine eigenständige Bedeutung für die Beurteilung der Strafbarkeit solcher Fälle zu. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Missbrauch in diesem Sinne vorliegt, sei die Art und Intensität des Behandlungsverhältnisses entscheidend.
acr/LTO-Redaktion
BGH spricht psychiatrischen Gutachter frei: . In: Legal Tribune Online, 19.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20045 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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