Nachdem das LG die Anklage zum sog. "BAMF-Skandal" statt in 121 nur in einigen wenigen Punkten zugelassen hat, akzeptiert die Staatsanwaltschaft diese Entscheidung. Mittlerweile ermittelt sie in einem neuen Verfahren - gegen die Ermittler selbst.
So schrumpft ein vermeintlicher Skandal zusammen, bis am Ende kaum noch Vorwürfe übrig bleiben. Im Sommer 2018 hatte die Staatsanwaltschaft Bremen Ermittlungen gegen die ehemalige Leiterin der BAMF-Außenstelle in Bremen sowie mehrere Anwälte wegen bandenmäßiger Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung in rund 1200 Fällen eingeleitet. Zahlreiche Medien berichteten darüber, ein "Skandal" war in der Welt.
"Der eigentliche Skandal liegt ganz woanders", sagte schon im Juni 2018 einer der Verteidiger der Asylanwälte in einem Interview mit LTO, und beklagte die Vorverurteilung und fehlende Akteneinsicht in die Vorgänge.
Im August 2019 erhob die Staatsanwaltschaft Bremen dann Anklage - aber nicht in 1200 Fällen, sondern in 121 Fällen. Sie warf der ehemaligen Leiterin der BAMF-Außenstelle sowie zwei Rechtsanwälten vor, im Zeitraum zwischen Juni 2014 und März 2018 in unterschiedlicher Tatbeteiligung Straftaten, insbesondere aus dem Bereich des Asyl- und Aufenthaltsgesetzes, darüber hinaus aber auch Straftaten der Vorteilsannahme bzw. Vorteilsgewährung, der Fälschung beweiserheblicher Daten, der Urkundenfälschung und der Verletzung des Dienstgeheimnisses begangen zu haben.
LG Bremen sieht nur noch wenige Einzefälle, aber kein "System"
Den Angeschuldigten wurde vorgeworfen ein regelrechtes "auf Dauer angelegtes System" geschaffen zu haben, mit dem sie ausländische Mandanten der angeschuldigten Rechtsanwälte vor Abschiebung bewahrten oder ihnen zu einer Verbesserung ihres Aufenthaltsstatus verhalfen. Dabei sollten sich die Angeschuldigten über Gerichtsbeschlüsse und bestandskräftige Entscheidungen anderer BAMF-Außenstellen bewusst hinweggesetzt haben.
Anfang November 2020 hat das Landgericht (LG) Bremen nun die Anklagepunkte "in der ganz überwiegenden Zahl" abgelehnt, wie es mitteilte. Und zwar vor allem die Vorwürfe zu Verstößen gegen das Ausländerrecht. Von einem "System" ist keine Rede mehr. Übrig geblieben sind Einzelvorwürfe: Gegen einen angeklagten Anwalt lediglich wegen der Vorwürfe des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in vier Fällen, der gewerbsmäßigen Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung in zwei Fällen sowie der Vorteilsgewährung in zwei Fällen und gegen die angeklagte ehemalige Leiterin der BAMF-Außenstelle wegen der Vorwürfe der Vorteilsannahme in zwei Fällen, der Fälschung beweiserheblicher Daten in sechs Fällen sowie der Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht in sechs Fällen eröffnet.
Gegen den anderen Anwalt hat das LG gar keine Anklage mehr zugelassen. Das ist die vorläufige Bilanz des "Skandals". Was an den verbleibenden Vorwürfen dran ist, wird der Prozess zeigen müssen. Ein Termin für einen Prozessauftakt steht noch nicht fest. Der Weg dahin ist aber nun erstmal frei. Wie ein Sprecher des LG gegenüber LTO mitteilte, wird der Prozess nicht mehr dieses Jahr beginnen. Gerade laufe die Terminabstimmung.
Staatsanwaltschaft akzeptiert Gerichtsentscheidung über knappe Anklage
Denn die Staatsanwaltschaft Bremen nimmt das weitgehende Scheitern ihrer Anklage hin. Die Behörde habe die Frist verstreichen lassen und keine Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts Bremen zu der Anklageschrift eingelegt. Das sagte ein Sprecher am Dienstag und bestätigte einen Bericht des "Weser-Kurier". Damit ist die Entscheidung rechtskräftig.
Zwar gebe es zwei vertretbare Rechtsauffassungen, die sich gegenüber stehen, sagte ein Sprecher der Bremer Staatsanwaltschaft der Deutschen Presse-Agentur. Die Anklagebehörde habe aber die Chancen als gering bewertet, sich gegen das Gericht mit ihrer Auffassung durchzusetzen. Deshalb sei keine Beschwerde eingelegt worden. Die Pressestelle der Staatsanwaltschaft war am Dienstag bis zum Erscheinen dieses Beitrags nicht erreichbar.
Neues Verfahren wegen einseitiger Ermittlung bei der Polizei
Die Bremer Polizei hatte unter der Sachleitung der Staatsanwaltschaft eine Ermittlungsgruppe "Antrag" eingerichtet. Diese Ermittlungsgruppe arbeitete seit Mai 2018 mit erheblicher
personeller Unterstützung der Bundespolizei sowie der Polizei Niedersachsen und unter Einbeziehung von Expertinnen und Experten des Bundeskriminalamtes und des BAMF mit bis zu 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der Aufklärung des Sachverhaltes. "Es handelte sich um die bislang größte Ermittlungsgruppe in der Geschichte der Polizei Bremen", teilte die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung 2019 mit.
Nun werden aber Vorwürfe gegen die Ermittler selbst laut - und sie stammen offenbar aus der Ermittlungsgruppe selbst. Wie der NDR und die Süddeutsche Zeitung berichteten, hat die Staatsanwaltschaft Bremen ein Verfahren gegen unbekannt wegen Urkundenunterdrückung eingeleitet. Nach den Medienberichten soll sich ein anonymer Hinweisgeber im Juni 2020 an das LG Bremen gewandt haben. Er habe zur Ermittlergruppe in der "BAMF-Affäre" gehört, und erhob schwere Vorwürfe gegen seine Kollegen. Die Ermittlungen seien einseitig geführt und entlastende Dokumente nicht berücksichtigt worden, soll es in seinem Schreiben heißen.
Nach Informationen von NDR und SZ behauptet der Hinweisgeber, entlastende E-Mails der Beschuldigten Ulrike B. seien absichtlich nicht zu den Akten genommen worden. Und als sich im Laufe der Ermittlungen herausstellte, dass die allermeisten der untersuchten Fälle rechtlich nicht zu beanstanden gewesen seien, habe sich in der Ermittlungsgruppe "Verzweiflung" breit gemacht.
Mit Material der dpa
Markus Sehl, Ermittler akzeptieren weitreichendes Scheitern vor dem LG: . In: Legal Tribune Online, 17.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43447 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag