Die ersten strafrechtlichen Urteile in der Aufarbeitung des Diesel-Skandals sind gefallen. Das Landgericht München verurteilt den früheren Audi-Chef Rupert Stadler zu einer Bewährungsstrafe.
Das Landgericht München II hat den ehemaligen Audi-Chef Rupert Stadler zu einem Jahr und neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Kammer sprach ihn am Dienstag nach 171 Verhandlungstagen des Betrugs schuldig (Urt. v. 27.06.2023, Az. W5 KLs 64 Js 22724/19).
Auch die beiden Mitangeklagten, der frühere Chef der Motorentwicklung und spätere Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz sowie der Ingenieur P., erhielten Bewährungsstrafen wegen Betrugs. Es sind die ersten strafrechtlichen Urteile in Deutschland im 2015 aufgedeckten Diesel-Skandal, der die ganze Branche erschüttert und Milliardenschäden verursacht hat.
Die Staatsanwaltschaft hatte den Bewährungsstrafen für Stadler und P. im Rahmen einer Verständigung bereits zugestimmt und nur im Fall von Hatz eine Gefängnisstrafe ohne Bewährung gefordert. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.
Hatz wurde von der Kammer um den Vorsitzenden Richter Stefan Weickert zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt, P. zu einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung. Zudem müssen alle drei Angeklagten hohe Bewährungsauflagen an die Landesjustizkasse Bamberg sowie an verschiedene gemeinnützige Vereine zahlen: Stadler 1,1 Millionen Euro, Hatz 400.000 und P. 50.000 Euro. Sie müssen auch die Kosten des Verfahrens in Millionenhöhe tragen. Das Verfahren gegen einen vierten Angeklagten, der als Kronzeuge früh gestanden hatte, wurde bereits im April gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt.
Die Staatsanwaltschaft zeigt sich mit dem Bewährungsurteil gegen Ex-Audi-Chef Stadler "sehr zufrieden". Das Gericht habe sich im Rahmen der im Prozessverlauf getroffenen Verständigung bewegt und sei "nur wenige Monate" vom Antrag der Staatsanwaltschaft abgewichen, sagte Sprecherin Andrea Grape am Dienstag kurz nach Urteilsverkündung.
"Erwartungen von oben" stellten Techniker vor Herausforderungen
Stadler ist als ehemaliger Audi-Chef zwar der prominenteste der drei Verurteilten, die Vorwürfe gegen Hatz und P. wiegen allerdings schwerer: Nach eigenem Geständnis hatten sie dafür gesorgt, dass die großen Dieselmotoren die Grenzwerte zwar auf dem Prüfstand einhalten, nicht aber auf der Straße. Ziel war es, sich den nachträglichen Einbau größerer Adblue-Tanks für die Abgasreinigung zu sparen, nachdem sich die Techniker des Konzerns verrechnet hatten. Abteilungsleiter P. soll damals von seinen Mitarbeitern "intelligente Lösungen" gefordert haben, um die kaum erfüllbaren Erwartungen von oben zu erfüllen.
Stadler hatte jahrelang seine Unschuld beteuert. Erst nach dem Hinweis des Gerichts auf eine drohende Gefängnisstrafe gestand der 60-Jährige im Mai, nach dem Auffliegen des Skandals 2015 in den USA den Verkauf von Autos mit manipulierten Abgaswerten in Deutschland viel zu spät gestoppt zu haben: Angesichts der Hinweise auf Tricksereien auch bei den europäischen Modellen hätte er als Vorstandschef sorgfältiger sein, für Aufklärung sorgen und eingreifen müssen. Nun ist er zwar als Betrüger verurteilt, kann aber das Gericht als freier Mann verlassen. Die Haftbefehle gegen alle drei Angeklagten, die bisher unter Auflagen außer Vollzug waren, wurden aufgehoben.
Stadler war 2007 Chef der Ingolstadter VW-Tochter geworden, als Nachfolger von Martin Winterkorn, der damals an die Konzernspitze wechselte. Unter Stadlers Führung hatte Audi Umsatz und Betriebsgewinn verdoppelt und Mercedes bei den Verkaufszahlen überholt. Die US-Behörden hatten Ende 2015 die Tricksereien bei VW-Dieselmotoren, wenig später auch bei großen Audi-Dieselmotoren bei den Modellen für den US-Markt aufgedeckt. Trotz zunehmender Hinweise auf Manipulationen auch bei den in Europa verkauften Modellen ließ Stadler den Verkauf hier aber bis Ende 2017 weiterlaufen. Ab Juni 2018 saß er wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft - vier Monate lang, bis zu seinem Rücktritt als Audi-Chef und VW-Vorstandsmitglied. An den Volkswagen-Konzern hat er inzwischen 4,1 Millionen Euro Schadenersatz wegen Pflichtverletzungen gezahlt.
Staatsanwalt sieht keinen Hauptverantwortlichen
Staatsanwalt Nico Petzka sieht die drei Angeklagten nicht als die Hauptverantwortlichen für den Diesel-Skandal. Es sei zweifelhaft, ob es überhaupt den oder die Hauptverantwortlichen geben könne, "wenn im Unternehmen so viele Beteiligte in die falsche Richtung laufen", hatte er in seinem Schlussplädoyer gesagt.
Die Münchner Staatsanwaltschaft hat schon 2020 vier weitere ehemalige Audi-Manager angeklagt - drei ehemalige Vorstandskollegen Stadlers und den langjährigen Leiter der Hauptabteilung Dieselmotoren bei Audi. Ob und wann dieser Prozess beginnt, ist noch offen. Er könnte vor derselben Kammer von Richter Weickert stattfinden. Gegen neun weitere Beschuldigte ermittelt die Münchner Staatsanwaltschaft noch.
Am Montag hatte sich der BGH mit der Frage nach einem Schadensersatzanspruch für Käufer von Dieselfahrzeugen mit verbauter Abschalteinrichtung befasst. In drei Musterverfahren bejahte das Gericht einen solchen Anspruch und hält 5 bis 15 Prozent des Anschaffungspreises des jeweiligen Fahrzeugs für angemessen. In gewissen Konstellationen müssten Nutzungen angerechnet werden (Urt. v. 26.6.2023, Az.: VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22.).
Von Rechtssicherheit könne nach diesem Urteil keine Rede sein, kommentiert LTO-Chefredakteur Felix W. Zimmermann. Die unterinstanzlichen Gerichte werden prüfen müssen, ob die Hersteller überhaupt fahrlässig gehandelt hätten.
sts/LTO-Redaktion mit Material der dpa
Freiheitsstrafe auf Bewährung: . In: Legal Tribune Online, 27.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52091 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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