Die Debatte um die umstrittene Corona-Impfpflicht kommt voran: Jetzt liegt ein 21-seitiger Entwurf für den umfassendsten Vorstoß auf dem Tisch. Doch was steht drin? Und wie schnell kommt die politische Entscheidung wirklich zustande?
Die Vorschläge für eine allgemeine Corona-Impfpflicht ab 18 Jahren nehmen konkrete Formen an. Sieben Bundestagsabgeordnete von SPD, Grünen und FDP legten am Freitag einen Entwurf für ein "Gesetz zur Aufklärung, Beratung und Impfung aller Volljährigen gegen SARS-CoV-2" vor. Demnach sollen die Krankenkassen zunächst bis 15. Mai alle Erwachsenen persönlich kontaktieren und über Beratungs- und Impfmöglichkeiten informieren. Ab 1. Oktober müssen dann alle Erwachsenen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland Nachweise über drei Impfungen oder als Genesene haben und sie auf Anforderung vorlegen - bei Behörden oder der Krankenkasse.
Von der Pflicht ausgenommen sind, wer aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden kann, und Frauen zu Beginn der Schwangerschaft. Das Gesetz soll bis 31. Dezember 2023 befristet sein. Die Bundesregierung soll die Wirksamkeit bis dahin alle drei Monate überprüfen und dem Bundestag darüber berichten. Der Vorschlag stammt von den SPD-Abgeordneten Dirk Wiese, Heike Baehrens und Dagmar Schmidt, den Grünen Janosch Dahmen und Till Steffen sowie Katrin Helling-Plahr und Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP.
Die Initiatoren erklärten zur Begründung für ihren Vorstoß: "Wenn wir warten, bis die nächste Infektionswelle in Sichtweite ist, ist es für vorausschauendes Handeln zu spät. Dann lässt sich die Bevölkerung, lässt sich unser Gesundheitssystem wieder nur mit einschränkenden Maßnahmen schützen." Das solle mit dem Gesetz verhindert werden. "Freiheit für alle geht nur mit Solidarität von allen."
Weitere Anträge zu erwarten
Der Bundestag soll nach Plänen der Ampel-Koalition ohne sonst übliche Fraktionsvorgaben über eine mögliche Regelung entscheiden. Daneben gibt es eine Initiative einer Gruppe um FDP-Vize Wolfgang Kubicki gegen eine allgemeine Impfpflicht. Eine Gruppe um den FDP-Politiker Andrew Ullmann arbeitet an einem Vorschlag für einen "Mittelweg": Mit Beratungsgesprächen für alle volljährigen Ungeimpften und - wenn nach gewisser Zeit die nötige Impfquote nicht erreicht ist - einer Pflicht zum Nachweis einer Impfung ab 50 Jahren. FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte am Freitag im ZDF: "Wir werden den Zeitplan einhalten, also am Ende dieses ersten Quartals eine Entscheidung treffen."
Die Gruppe für die Impfpflicht ab 18 argumentiert in ihrem Entwurf, dass ein umfassenderer Ansatz nötig sei. "In den letzten Monaten zeigte sich, dass bislang noch ungeimpfte Personen durch die Impfkampagne nicht mehr ausreichend erreicht und mobilisiert werden können." Die bereits beschlossene Impfpflicht für Beschäftigte in Einrichtungen wie Kliniken und Pflegeheimen stelle keine geeignete Alternative dar, da sie nur einen geringen Teil der Bevölkerung betreffe. Dies gelte auch bei einer altersbezogenen Impfpflicht, die allein einen Teil der vulnerablen Personen treffen würde.
Auch eine "konditionierte Impfpflicht", die erst beim Auftreten neuer Belastungssituationen im Gesundheitswesen oder neuer Virusvarianten in Kraft gesetzt würde, sei nicht geeignet: Sie könne aufgrund der Dauer für die gebotene dreifache Impfung von vier Monaten und der hohen Zahl ungeimpfter Menschen nicht rechtzeitig wirken.
Die Abgeordneten-Gruppe betonte, dass dreimal geimpfte Menschen dies einfach per Smartphone oder etwa in der nächsten Apotheke nachweisen könnten. "Sie haben Ihre Pflicht damit schon erledigt."
Verstoß gegen Art.3 GG?
Der Entwurf sieht zugleich Sanktionsmöglichkeiten vor - unter anderem mit Bußgeldern. Bevor solche Maßnahmen ergriffen werden, sollen Betroffene aber auf die Möglichkeit einer Impfberatung und einer kostenlosen Impfung hingewiesen werden. Ihnen soll auch Gelegenheit gegeben werden, einen Nachweis in angemessener Frist vorzulegen. Die Anordnung von Haft zur Durchsetzung von Maßnahmen soll ausdrücklich ausgeschlossen werden.
Fraglich ist jedoch, ob der Verzicht auf die Anordnung von Erzwingungshaft (§ 96 Ordnungswidrigkeitengesetz) verfassungsrechtlich gerechtfertigt und mit dem Gleichbehandlungsgebot zu vereinbaren ist. Bei einfachen Parkverstößen z.B. droht ein solche Beugehaft, wenn der Betroffene zahlungsfähig ist, aber sein Bußgeld nicht bezahlt. Nach LTO-Informationen hatte das Bundesjustizministerium bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfes ausdrücklich auf einen möglichen Konflikt mit Art. 3 Grundgesetz an dieser Stelle hingewiesen.
Unterdessen schlagen CDU und CSU im Bundestag in der Debatte über die mögliche Einführung einer Corona-Impfpflicht zunächst den Aufbau eines Impfregisters vor. Einen Impfpflichtbeschluss zum jetzigen Zeitpunkt lehnt die Fraktion ab. Man setze auf Augenmaß, teilte der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion, Tino Sorge (CDU), am Freitag mit. Die Pläne anderer Parlamentarier für eine Impfpflicht ab 18 oder ab 50 seien Scheinlösungen, die im Bundestag keine Mehrheit finden würden.
Union will Register und "gestuften Impfmechanismus"
"Wir wissen viel zu wenig über die Situation im Herbst, um uns jetzt final für oder gegen eine Impfpflicht zu entscheiden. Was wir aber jetzt unbedingt brauchen, ist ein Register", sagte der CDU-Abgeordnete und frühere Berliner Justizsenator Thomas Heilmann.
In dem Antrag der Unionsfraktion wird die Regierung dazu aufgefordert, ein Gesetz für den Aufbau eines Registers zu erarbeiten. Verwiesen wird auf derzeit noch rund 20 Millionen Menschen ohne Corona-Impfung im Land. Mangels zentraler Erfassung sei weder eine konkrete Ansprache noch ein gezielter Einsatz von Schutzmaßnahmen möglich.
Für das Register könnte dem Vorschlag zufolge auf Daten des Bundeszentralamts für Steuern zurückgegriffen werden. Dort sind alle Bürgerinnnen und Bürger, einschließlich Kinder, über ihre Steuer-ID mit Name, Geburtsdatum und aktueller Anschrift gemeldet. Der Impfstatus könnte zum Beispiel über das Smartphone hochgeladen werden.
CDU und CSU sprechen sich darüber hinaus für einen "gestuften Impfmechanismus" aus, den Bundestag und Bundesrat bei verschärfter Pandemielage und in Abhängigkeit von der Gefährlichkeit der Virusvariante, der Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe und der Immunität der Bevölkerung in Kraft setzen könnten. Dieser könnte dann auch eine Impfpflicht vorsehen, allerdings nur für bestimmte besonders gefährdete Bevölkerungs- und Berufsgruppen.
hs/dpa/LTO-Redaktion
Gruppenanträge zur allgemeinen Corona-Impfpflicht: . In: Legal Tribune Online, 11.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47518 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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