Nachdem der Verfassungsschutz den Flügel der AfD als rechtextrem eingestuft hat, drängen mehrere Spitzenfunktionäre der Partei auf eine Reaktion des Bundesverbandes. Auch Ordnungsmaßnahmen gegen den Flügel-Gründer Björn Höcke und den zweiten Flügel-Frontmann Andreas Kalbitz sind im Gespräch.
Der Landesvorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD) in Nordrhein-Westfalen, Rüdiger Lucassen, hat sich in einem Brief an die beiden Parteichefs Jörg Meuthen und Tino Chrupalla gewendet. Darin dringt er darauf, den Flügel der AfD aufzulösen. Diesen hatte der Verfassungsschutz vergangene Woche zum Beobachtungsfall im Bereich Rechtsextremismus erklärt. Die Auflösung und andere Maßnahmen seien laut Lucassen geeignet, um die derzeitige Lage in der Partei zu beruhigen und eine bereits begonnene Austrittswelle zu stoppen.
Die Einstufung als Beobachtungsfall wirkt sich nämlich nicht nur innerparteilich aus, insbesondere in den westlichen Landesverbänden treten immer mehr Parteimitglieder aus. Dies hat offenbar auch mit dem Flügel zu tun. Aus dem nordrhein-westfälischen Landesverband hieß es, langjährige Mitglieder hegten einen tiefen Groll gegen neue, Flügel-affine Mitglieder vom Typ "Jogginghose, kein Job, keine Zähne", die in einigen Kreisverbänden neuerdings versuchten, die Tonlage vorzugeben.
Weiterhin fordert Lucassen den Bundesvorstand dazu auf, Veranstaltungen, Auftritte und andere Zusammenkünfte von AfD-Mitgliedern unter der Bezeichnung Flügel zu verbieten. Die Protagonisten des Flügels hätten sich zudem "vorbehaltlos in Diktion und Duktus den Zielen und der Programmatik der AfD unterzuordnen."
Massive Kritik an Höcke und Kalbitz
Innerhalb der großen innerparteilichen Diskussion wird auch Kritik an den beiden wichtigsten Führungspersönlichkeiten des Flügels, Brandenburgs Fraktionschef Andreas Kalbitz und Thüringens Fraktionsvorsitzender Björn Höcke, laut, so auch der rheinland-pfälzische AfD-Fraktionschef Uwe Junge.
Der Bundesvorstand berät, voraussichtlich auch zu dieser Frage, am kommenden Freitag trotz Corona-Krise in Berlin. Es heißt, auch der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland wolle kommen. Dann will dem Vernehmen nach darüber beraten werden, wie die Partei auf die jüngste Entscheidung des Verfassungsschutzes reagieren sollte. Ob dann direkt schon ein Beschluss gefasst wird, ist aber noch offen.
Junge wolle, dass dann auch eine Rede Höckes bei einem Flügel-Treffen in Sachsen-Anhalt zur Sprache komme. Von der Ansprache kursiert eine Videoaufnahme, in der Höcke sagt: "die nicht in der Lage sind, Disziplin zu leben. Die, die nicht in der Lage sind, das Wichtigste zu leben, was wir zu leisten haben, nämlich die Einheit, dass die allmählich auch mal ausgeschwitzt werden sollten."
Flügel soll sich "zum Wohle der Partei" auflösen
Außerdem thematisiert Junge in einem Brief an die Parteivorsitzenden einen Bericht des Spiegel zu einer früheren Mitgliedschaft von Kalbitz in der "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ), die dieser bestreitet. Die Gruppierung steht auf der sogenannten Unvereinbarkeitsliste der AfD. Das bedeutet: Wer dort Mitglied war, darf in der AfD nicht aufgenommen werden. Junge forderte in einem Schreiben an Parteifreunde, "eine harte Ordnungsmaßnahme gegen Höcke und die Löschung der Mitgliedschaft von Kalbitz". Auch der AfD-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Schleswig-Holstein Jörg Nobis missbilligt die Äußerungen von Höcke und erwartet eine "vom Bundesvorstand eine entsprechende Reaktion."
AfD-Bundesvorstandsmitglied Alexander Wolf sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Das Projekt der Partei ist ernsthaft in Gefahr. Der Flügel muss jetzt seine Strukturen offenlegen. Das wird zeigen, dass er eine deutlich geringere Größe hat als von vielen angenommen und nicht prägend ist für die Partei. Wenn er dazu nicht bereit ist, muss er sich auflösen zum Wohle der Partei."
dpa/vbr/LTO-Redaktion
Nach Einstufung als Beobachtungsfall: . In: Legal Tribune Online, 19.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40935 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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