Die Befugnisse bei Handyortung und verdeckten Ermittlungen sind zu weitreichend, entschied das BVerfG. Es sah eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Der hessische Landesgesetzgeber muss nun erneut nachjustieren.
Das Hessische Verfassungsschutzgesetz (HVSG) ist teilweise verfassungswidrig. Das geht aus einem jetzt veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hervor (Beschl. v. 17.07.2024, Az. 1 BvR 2133/22). Konkret geht es unter anderem um Handyortung, den Einsatz verdeckter Ermittler und die Abfrage von Flugdaten. Damit gab der Erste Senat der Verfassungsbeschwerde von fünf Beschwerdeführern, die von Bürgerrechtsorganisationen unterstützt wurden, teilweise statt.
Mehrere im Gesetz geregelte Datenerhebungs- und Übermittlungsbefugnisse des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz (LfV HE) sind nach Überzeugung des Ersten Senats mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar, weil sie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen. Dieses Grundrecht ist nach der Rechtsprechung des BVerfG eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG.
Unzureichende Nachbesserungen
2023 war das HVSG in Reaktion auf ein BVerfG-Urteil von 2022 zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz bereits geändert worden. Doch diese Nachbesserungen in Hessen genügten nach Auffassung der Karlsruher Richter nicht. Die Regelung im HVSG zur Handyortung ist laut dem Ersten Senat verfassungswidrig, weil sie "eine engmaschige lang andauernde Überwachung der Bewegungen im Raum erlaubt, ohne eine dafür hinreichende Eingriffsschwelle vorzusehen".
Mit der gleichen Begründung stufte das BVerfG die Befugnis auch für "eingriffsintensive Einsätze" verdeckter Ermittler als verfassungswidrig ein. Diese könnten mit einer falschen Identität eine vermeintliche Vertrauensbeziehung aufbauen. "Nutzt aber der Staat persönliches Vertrauen aus, um Geheimhaltungsinteressen zu überwinden und Betroffene so zur Preisgabe von Informationen zu verleiten, kann das sehr schwer wiegen", so das Gericht.
Eine nicht hinreichende Eingriffsschwelle sah das BVerfG zudem bei der Abfrage verschiedener persönlicher Reisedaten. Hier sei beispielsweise eine zeitliche Beschränkung offensichtlich nicht vorgesehen. Schließlich rügte der Erste Senat auch Regelungen zur Übermittlung von nachrichtendienstlich ermittelten persönlichen Daten an Strafverfolgungsbehörden als teils verfassungswidrig, wenn es einen Verdacht besonders schwerer Straftaten gibt.
Poseck: BVerfG-Beschluss bringt Klarheit
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Verfassungsbeschwerde gemeinsam mit anderen Organisationen ausgearbeitet hatte, verbucht die Entscheidung als "Erfolg für die Grundrechte": Der hessische Verfassungsschutz dürfe nicht einfach "nach Belieben verdeckte Ermittler*innen losschicken und Handys orten". Jetzt müsse der hessische Gesetzgeber "nachjustieren".
Ähnlich sieht es die Humanistische Union (HU), die ebenfalls das Verfahren unterstützt hat: "Die hessische Landesregierung muss nachsitzen, weil sie schlampig mit elementaren Bürgerrechten umgegangen ist", kommentierte Franz Josef Hanke für die HU am Dienstag. "Das ist leider nicht die erste Schlappe, die die Landesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht erlitten hat."
Bei Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) ist der Auftrag an den Gesetzgeber angekommen. Dem einstigen Präsidenten des hessischen Staatsgerichtshofs zufolge bringt der Gerichtsbeschluss insofern gewünschte Klarheit: "Soweit Bestimmungen für verfassungswidrig erklärt wurden, werden wir zeitnah Neuregelungen auf den Weg bringen und dafür Sorge tragen, dass diese innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Übergangsfrist bis Ende 2025 in Kraft treten können." Immer wieder bestehe ein Spannungsverhältnis zwischen den Interessen der Sicherheitsbehörden und den Persönlichkeitsrechten, denen das BVerfG eine hohe verfassungsrechtliche Bedeutung eingeräumt habe. "Dies gilt es zu respektieren, auch wenn ich mir eine stärkere Beachtung der Sicherheitsgesichtspunkte gewünscht hätte." Gerade in der heutigen Zeit vielfältiger Bedrohungen von innen und außen seien gut ausgestattete Sicherheitsbehörden mit den notwendigen Befugnissen wichtig.
Die FDP-Opposition im hessischen Landtag sprach von einem "starken Zeichen für den Schutz der Grundrechte vor übermäßiger staatlicher Überwachung durch Geheimdienste". Deren Maßnahmen müssen transparent und verhältnismäßig sein, "um das Vertrauen in staatliche Institutionen zu wahren. Die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit muss gewahrt werden."
dpa/jb/LTO-Redaktion
Bundesverfassungsgericht: . In: Legal Tribune Online, 17.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55430 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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