Soll das Individualrecht auf Asyl durch Kontingente für Flüchtlinge ersetzt werden? Dieser Vorschlag des CDU-Innenpolitikers Thorsten Frei bemüht sich, humanitär zu klingen, legitimiert im Ergebnis aber nur Vorurteile.
Thorsten Frei verspricht das Blaue vom Himmel. Endlich sollen in Europa die wirklich Hilfsbedürftigen Zuflucht bekommen, die illegale Migration wäre unterbunden und den Rechtspopulist:innen der Boden entzogen.
Dies alles will der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion erreichen, indem das Asylrecht als individuelles Recht abgeschafft und durch großzügige Kontingente ersetzt wird. So argumentierte er in einem Gastbeitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Es geht nicht um das Asylgrundrecht
Er hat damit sofort eine veritable Debatte ausgelöst und seit dem Wochenende auch viel Kritik erfahren. Viele sehen etwa das Grundrecht auf Asyl in Gefahr. Diese Kritiker:innen haben allerdings vergessen, dass das deutsche Grundrecht auf Asyl bereits 1993 weitgehend abgeschafft wurde. In Artikel 16a Grundgesetz (GG) steht nur noch ein nutzloser Platzhalter.
Unser Asylrecht beruht heute auf dem EU-Recht. Seit 2013 besteht ein weitgehend harmonisiertes Asylsystem, das in seinen Garantien weithin fortschrittlicher ist, als es das deutsche Asylgrundrecht je war.
Eingeschränkt wird es nur durch die (überwiegend ignorierte) Dublin-III-Verordnung, wonach fast immer die EU-Außenstaaten für die Asylverfahren zuständig sind.
Frei weiß, dass es nicht um das Grundrecht auf Asyl geht und argumentiert entsprechend. Er fordert die Abschaffung des Individualrechts auf Asyl in der EU. Die Hürde hierzu ist zwar hoch. Denn das Individualrecht auf Asyl ist in Artikel 18 der EU-Grundrechte-Charta garantiert. Diese Garantie müsste also - einstimmig - geändert werden.
Aber wenn es gegen Flüchtlinge geht, ist das inzwischen leider nicht mehr unüberwindlich.
Auch die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), die wohl alle EU-Staaten unterzeichnet haben, stünde einer Abschaffung des Individualrechts auf Asyl nicht entgegen. Schließlich regelt sie das Recht im Asyl und nicht das Recht auf Asyl.
Humanitäre Pose
Frei argumentiert nicht flüchtlingsfeindlich. Im Gegenteil, er nimmt die Pose des wahren Flüchtlingsfreundes ein. Sein durchaus bedenkenswertes Argument: Solange Europa zwar einen Individualanspruch auf Asyl gewährt, aber gleichzeitig den Zugang immer mehr erschwert, kommen vor allem junge, starke und zahlungskräftige Flüchtlinge nach Europa, so Frei. Wer zu schwach oder zu arm ist, sei chancenlos.
Frei will deshalb, dass Europa pro Jahr 300.000 bis 400.000 wirklich hilfsbedürftige Flüchtlinge direkt aus dem Ausland holt und auf die EU-Staaten verteilt. So komme das Asyl in Europa den wirklich Bedürftigen zugute.
Freis Vorschlag beruht aber auf zwei groben Denkfehlern, die so offensichtlich sind, dass man kaum glauben mag, dass ein so intelligenter Politiker wie Frei sie übersehen hat.
Denkfehler 1: Flüchlingen kommen trotzdem
Erstens würden die starken und zahlungskräftigen Flüchtlinge und Migrant:innen weiterhin illegal nach Europa kommen - auch wenn sich die EU für eine Kontingentlösung entscheidet. Denn Freis Kontingentlösung wäre ja gerade nicht auf sie ausgerichtet, sondern auf die wirklich Schwachen und Hilfsbedürftigen.
Die starken und zahlungskräftigen Flüchtlinge würden sich also weiterhin mit Hilfe der Schleuser-Industrie (die ja auch nicht einfach verschwindet) irgendwie nach Europa durchschlagen. Sind sie erst einmal hier, kann man Flüchtlinge bekanntlich nicht einfach in ihr Heimatland abschieben. Entweder droht ihnen dort wirklich Gefahr, dann stehen das Non-Refoulement-Verbot der GFK, also das Verbot der Abschiebung in ein Land, in dem die Verfolgung droht, die Europäische Menschenrechtskonvention und als letzte Bastion die Menschenwürde-Garantie des GG entgegegen. Wenn die Flüchtlinge aus anderen Staaten kommen, wissen sie das in der Regel gut zu verschleiern, so dass Abschiebungen auch nur selten und äußerst mühsam gelingen.
Nichts, aber auch gar nichts würde sich daran ändern, wenn das Individualrecht auf Asyl abgeschafft wäre. Nach Freis Konzeption erhielten die illegal eingereisten Flüchtlinge nur keine Unterstützung mehr und dürften auch nicht arbeiten. Das würde Europa eindeutig nicht sicherer machen, ginge also eher nach hinten los.
Denkfehler 2: Große Kontingente sind unrealistisch
Auch die Zahl von 300.000 bis 400.000 Kontingentflüchtlingen pro Jahr ist völlig illusorisch. Frei stellt eine Zahl ins Schaufenster, die gut klingt, aber völlig weltfremd ist. Wer die Aufnahmebereitschaft der EU-Staaten kennt, würde schon 30.000 bis 40.000 Personen als Erfolg betrachten. Humanitär wäre das aber nicht der versprochene Fortschritt, sondern ein großer Rückschritt.
Im Übrigen sind solche Kontingentlösungen natürlich auch heute schon möglich, wie zum Beispiel Baden-Württemberg vergewaltigte jesidische Frauen aus dem Irak aufgenommen hat, ohne sie einer möglicherweise retraumatisierenden Asylprüfung auszusetzen.
Der Status Quo ist besser als sein Ruf
Doch ist der aktuelle asylpolitische Zustand wirklich so problematisch?
Die meisten Flüchtlinge kommen immer noch aus Syrien und Afghanistan.
Nur 20 Prozent der Asylanträge werden aus inhaltlichen Gründen abgelehnt. Der Anteil von Frauen und Kindern unter den Asyl-Antragstellenden beträgt immerhin 43,6 Prozent. Das sind aktuelle Zahlen aus dem deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Natürlich könnte man mit Kontingenten von 300.000 bis 400.000 vulnerablen gezielter helfen. Aber die nur versprochene Taube auf dem Dach sollte meist nicht gegen den soliden Spatz in der Hand getauscht werden.
Und selbst wenn unter den Flüchtlingen auch viele Wirtschaftsmigrant:innen sind: Ist das wirklich schlimm in einer Phase zunehmender Arbeitskräfte-Knappheit? Wir sehen eine Zeit voraus, in der viele staatliche und wirtschaftliche Vorhaben daran scheitern, dass sie personell nicht mehr umgesetzt werden können. Wir brauchen deshalb Einwanderung, nicht nur von IT-Kräften und Wissenschaftler:innen.
Deutschland muss also ein einwanderungsfreundliches Land werden. Wer in dieser Situation gegen Arbeitsmigrant:innen Stimmung macht, hat den Ruf der Zeit nicht verstanden.
Weder wirtschaftskompetent noch christlich
Doch die CDU Thorsten Freis ist eben keine Wirtschaftspartei mehr und erst recht keine Partei christlicher Werte, sondern eine Partei, die sich von der AfD bedroht sieht, nicht zuletzt in Ostdeutschland. Freis inhaltlich wenig überzeugende Argumentation für Flüchtlingskontingente ist vermutlich nur ein Versuch, im Wettbewerb um die rechte Hegemonie eine originelle Duftmarke zu setzen. So könnte die CDU Vorurteile gegenüber den hier lebenden Flüchtlingen erzeugen und legitimieren, ohne offen rechtsextremistisch und rassistisch zu argumentieren. Indem man Hilfe für andere Flüchtlinge fordert, kann man guten Gewissens Stimmung gegen die real hier lebenden Flüchtlinge machen.
Und die Kritiker an Freis Vorschlag sollten sich lieber um die aktuellen Debatten zur Reform (d.h. zum Abbau) des EU-Asylsystems kümmern als Thorsten Freis Vorschlag allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Man hat den Eindruck, dass gerade Grüne und SPD in diesen Tagen dankbar gegen Frei ins Felde ziehen, um kritischen Fragen zu ihren eigenen Positionen auszuweichen.
Thorsten Frei will individuelles Asylrecht abschaffen: . In: Legal Tribune Online, 19.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52293 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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