Die Welt steht still, aber die Digitalisierung nimmt weiter Fahrt auf. Für Legal-Tech-Interessierte haben Laura Bingenheimer und Nico Kuhlmann sich einige Weiterbildungsangebote angesehen.
Ein Großteil der Studierenden, Anwälte und Richter sitzt gegenwärtig im Homeoffice. Eigentlich eine gute Gelegenheit, sich weiterzubilden. Die digitale Transformation ist zwar derzeit nicht das wichtigste Thema, aber sie entwickelt sich gerade auch in der Krise rasant weiter.
Im Internet gibt es mittlerweile ein vielfältiges Angebot. Sogenannte Massive Open Online Courses (MOOCs), Webinare, YouTube-Videos oder Podcasts bieten eine einfache Möglichkeit, sich auf der Couch oder dem Balkon fortzubilden.
Die meisten dieser Angebote setzen keine Vorkenntnisse voraus und sind kostenlos. Ist die Teilnahme doch einmal kostenpflichtig, erhalten die Teilnehmenden dafür meist auch ein Zertifikat, das beispielsweise Bewerbungen beigelegt werden kann.
Der Klassiker: Die deutsche Legal-Tech-Vorlesung auf YouTube (PD Dr. Martin Fries)
Auf seinem YouTube-Kanal hat der Privatdozent Dr. Martin Fries Mitschnitte seiner 2018 an der Universität Freiburg gehaltenen Legal-Tech-Vorlesung veröffentlicht. Die insgesamt neun Einheiten beschäftigen sich aus deutscher Sicht mit Themen wie automatischer Subsumtion, Zugang zum Recht und digitaler Streitbeilegung.
Zusätzlich zu den Mitschnitten der Vorlesungen, die jeweils zwischen einer und eineinhalb Stunden lang sind, finden sich dort auch die Folien zu den einzelnen Einheiten.
Eine weitere Vorlesungsreihe von Dr. Fries, die dieser zusammen mit Prof. Dr. Thomas Riehm an der Universität Passau umgesetzt hat, ist die Ringvorlesung Legal Tech. In deren Rahmen haben mehrere Referenten aus der Praxis über aktuelle Entwicklungen berichtet. Die Aufzeichnungen sind auf dem Videoportal der Universität Passau verfügbar.
Die Neulinge: Die studentische Webinar-Reihe aus Münster (Recode Law)
Seit diesem Jahr bietet der studentische Verein recode.law aus Münster eine eigene Webinar-Reihe an, an der jeder Interessierte kostenlos teilnehmen kann und dessen Aufzeichnung anschließend auf YouTube veröffentlicht wird.
Die hinter recode.law stehenden circa 40 Mitglieder sind hauptsächlich Studierende der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Die Gruppe organisiert Vorträge, Podiumsdiskussionen, Workshops, Hackathons und jetzt eben auch eine Webinar-Reihe.
Die ersten Einheiten in der neu aufgelegten deutschsprachigen Webinarreihe beschäftigten sich unter anderem mit den Themen "Predictive Analytics" sowie "Predictive Policing". Die nächste Einheit, die Ende April 2020 stattfinden wird, soll das Thema "WTF is Legal Tech?" behandeln.
Der Hidden Champion: Liquid Legal - Transforming an Industry (SAP)
Über die Plattform openSAP bietet der Software-Konzern aus Walldorf Kurse für alle an, die lernen wollen, wie man im digitalen Zeitalter besteht. Einer der Kurse ist der englischsprachige Kurs "Liquid Legal: Transforming an Industry".
Der Kurs beschreibt, wie sich der Beruf von Juristen im Laufe der Zeit verändern könnte und welcher Fähigkeiten man neben der Kenntnis des Gesetzes noch bedarf. Der Kurs geht davon aus, dass juristisches Wissen und datengestützte Dienstleistungen teilweise zu einer austauschbaren Ware werden und ein Schlüsselfaktor für die Zukunft des Berufs die Analyse der Daten werden wird.
Der Kurs ist in zwei Teilen aufgebaut: Im ersten Teil werden drei Prinzipien, die sogenannten "Liquid Legal Principles", aufgestellt. Diese sind "business savvy", "information enabled", und "performance driven". Diese Prinzipien werden im Kurs vertieft dargestellt. Im zweiten Teil wird beschrieben, was diese Veränderung für einzelne Bereiche der Rechtsbranche bedeutet. Insbesondere zeigt der Kurs Chancen für Rechtsabteilungen auf und erörtert, wie diese noch mehr zu einem strategischen Partner für Führungskräfte und Kunden werden können.
Der gesamte Kurs dauert zwischen vier bis sechs Stunden, sollte innerhalb von vier Wochen abgeschlossen werden und kostet insgesamt 39 Euro. Im Gegenzug erhalten die Teilnehmenden auch einen Leistungsnachweis.
Der internationale Vorreiter: Legal Tech & Startups (IE Law School & Coursera)
International unter Studierenden bekannt ist zudem vor allem der von der Madrider IE Law School über die Weiterbildungsplattform Coursera seit mehreren Jahren in englischer Sprache angebotene Online-Kurs "Legal Tech & Startups". Im Gegensatz zu den anderen bisher vorgestellten Kursen will dieser vor allem auch auf die Gründung eines Legal-Tech-Unternehmens vorbereiten.
Im Kurs werden Fragen wie "Warum sind Legal Tech Lösungen sinnvoll?", "Welche technischen Tools machen für mein Legal Tech Produkt Sinn?" über "Wie starte und organisiere ich ein Startup?", "Welche technischen Tools erleichtern die Organisation und das Marketing?" bis hin zu "Welche Legal Tech Startups gibt es bereits?" beantwortet.
Der Kurs versucht somit die relevanten Inhalte in der Schnittmenge zwischen digitaler Transformation der Rechtsbranche und Unternehmertum zu vermitteln. Dadurch wirkt das Angebot phasenweise ein wenig überfrachtet, aber die konkrete Bezugnahme auf einzelne Legal-Tech-Startups bei der Erläuterung allgemeiner Konzepte illustriert den Kursinhalt sinnvoll. Aufgrund der speziellen Ausrichtung lohnt dieser kostenpflichtige Kurs sich vor allem für potentielle Gründer.
Die Weiterbildung dauert insgesamt circa 18 Stunden und findet komplett online statt. Die Gebühr beträgt 44 Euro und nach der erfolgreichen Teilnahme erhalten die Teilnehmenden ein entsprechendes Zertifikat.
Die Grundlagen aus Finnland: Elements of AI (University of Helsinki & Reaktor)
Wer sich eher für die hinter der digitalen Transformation stehenden Technologien interessiert, dem sei der unter anderem von der University of Helsinki für die breite Öffentlichkeit entwickelte Kurs "Elements of AI" ans Herz gelegt.
Das Ziel des kostenlosen Angebots ist es, Menschen die Grundlagen von künstlicher Intelligenz (KI) näher zu bringen und sie in die Lage zu versetzen, sich diese zunutze zu machen, statt sich davon bedroht zu fühlen. Mittlerweile haben sich über 370.000 Teilnehmende registriert, die Absolventen stammen aus über 170 Ländern. Mittlerweile ist der Kurs auch in deutscher Sprache verfügbar.
Der Kurs behandelt grundlegende Fragen wie beispielsweise "Was ist KI?", "Was kann KI (und was nicht)?" sowie "Wie werden KI-Methoden entwickelt?". Er will ein grundlegendes Verständnis davon vermitteln, welchen Einfluss KI auf die eigene Arbeit und das eigene Leben haben kann.
Für die Teilnahme an "Elements of AI" sind weder Kenntnisse in höherer Mathematik noch Informatikwissen erforderlich. Auch Programmieren können muss man nicht. Der Kurs ist so gestaltet, dass abgesehen von mathematischen Grundkenntnissen kein Vorwissen nötig ist. Dennoch können sich einige Übungen schon ein bisschen komplizierter darstellen, wenn die letzte Mathematikstunde bereits etwas länger zurückliegt.
Um am Ende eine Teilnahmebescheinigung zu erhalten, müssen mindestens 90 Prozent der Übungen abgeschlossen und mindestens 50 Prozent korrekt beantwortet sein. Korrigiert werden die Antworten entweder automatisch oder bei Freitext-Antworten im Rahmen einer Peer-Evaluation von den anderen Teilnehmenden. Das heißt umgekehrt, dass man selbst auch die Antworten der anderen Teilnehmenden bewerten kann.
Oder nur was auf die Ohren: Die Legal-Tech-Podcasts
Neben diesen visuell-basierten Kursen gibt es auch eine ganze Reihe Podcasts, die sich dem Thema Legal Tech aus verschiedener Richtung nähern.
Die bereits vorgestellte Studierenden-Initiative recode.law aus Münster bietet neben der Webinar-Reihe mit "Legal Tech Pioneers" auch einen Podcast an. Wie der Name nahelegt, werden Personen hinter den Entwicklungen und Unternehmen vorgestellt. Es gibt beispielsweise Folgen mit Steffen Bunnenberg von Lawlift, Dr. Daniel Halmer von LexFox und Dr. Philipp Kadelbach von Flightright.
Eine andere studentische Initiative aus Nordrhein-Westfalen, das Legal Tech Lab Cologne, betreibt ebenfalls einen Podcast mit dem Titel "Talking Legal Tech". Auch dort ist der Name Programm: Es wird über Legal Tech und alle Themen rund um die Digitalisierung des Rechts gesprochen. Neben der obligatorischen Folge zum Thema "Was ist Legal Tech?", geht es zum Beispiel auch um Legal Tech und Strafrecht oder um die Blockchain und Smart Contracts. Zu Wort kommen dort auch Branchenexperten aus der Praxis wie Markus Hartung, Florian Glatz oder Jan Klostermann von Wolters Kluwer, zu der auch LTO gehört.
Schließlich gibt es in Deutschland noch den "Legal Tech Podcast" der Legal-Tech-Beratung SFS aus München. Bisherige Gäste waren unter anderem Dr. Christina-Maria Leeb, die ihre Doktorarbeit über "Digitalisierung, Legal Technology und Innovation – Der maßgebliche Rechtsrahmen für und die Anforderungen an den Rechtsanwalt in der Informationstechnologiegesellschaft" geschrieben hat sowie Zoë Andreae aus Hamburg, die mit nur 23 Jahren das Familienunternehmen LECARE übernahm, welches seit 30 Jahren Software für Rechtsabteilungen entwickelt.
Die Corona-Krise geht vorbei, die Digitalisierung bleibt
Die gegenwärtige Situation, die viele Juristen zum Arbeiten von zu Hause aus zwingt, wird vorbeigehen. Die digitale Transformation und die damit zusammenhängenden Veränderungen aber werden bleiben.
Mehr noch, bestimmte Aspekte werden gerade nahezu zwangsdigitalisiert, um etablierte Abläufe auch in der Krise aufrechtzuerhalten. Das gilt natürlich auch für die zumindest in Teilen systemrelevante Rechtsbranche. Wahrscheinlich hatten sich nur wenige Experten noch vor ein paar Wochen intensiver mit der Vorschrift des § 128a ZPO und der Möglichkeit der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung beschäftigt. Mittlerweile ist es wahrscheinlich eine der meistdiskutierten Normen der Zivilprozessordnung, inklusive der Frage, ob die Robenpflicht eigentlich auch im Home Office gilt.
Die Zeit am heimischen Schreibtisch eignet sich also auch hervorragend, um sich in Bezug auf die digitale Transformation des Rechtsmarkts weiter auf dem Laufenden zu halten. In diesem Sinne: frohes Fortbilden.
Die Autorin Laura Bingenheimer ist Studentin der Rechtswissenschaft an der LMU München und Mitglied bei recode.law.
Der Autor Nico Kuhlmann ist Rechtsanwalt bei Hogan Lovells Int. LLP in Hamburg. Er war bei mehreren der vorgestellten Initiativen, Vorlesungen und Podcasts bereits als Referent oder Gast zum Thema Legal Tech eingeladen.
Weiterbildung von zu Hause aus: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41353 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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