Vor einem knappen Jahr hat Wirecard Insolvenz angemeldet. Die erste Anklage gegen Ex-Vorstandschef Markus Braun rückt näher. Die Landgerichte Stuttgart und München streiten über die Zuständigkeit für mehrere Hundert Schadensersatzklagen.
Ein knappes Jahr, nachdem das Finanzdienstleistungsunternehmen Wirecard Insolvenz angemeldet hatte, beschäftigt der Bilanzskandal die Zivil- und Strafgerichte.
Die Staatsanwaltschaft München will sich nach Informationen der dpa bei ihren Ermittlungen auf Teile der Vorwürfe konzentrieren, um bei Ex-Vorstandschef Markus Braun Schneller zur erwarteten Anklage zu kommen. Einen konkreten Termin nannten die Ermittler nicht, Spekulationen zufolge könnte die Staatsanwaltschaft in der zweiten Jahreshälfte Anklage erheben. Braun und zwei andere Manager sitzen seit Sommer 2020 in Untersuchungshaft.
Am 25. Juni 2020 teilte das Unternehmen Wirecard mit, es habe Insolvenz angemeldet. Das Finanzdienstleistungsunternehmen galt einst als aufstrebender Börsenstar, wurde dann aber Hauptdarsteller eines Bilanzskandals.
Rund zwei Milliarden angeblich auf Treuhandkonten verbuchte Gelder existierten nicht
Zunächst hatte der Zahldienstleister mehrfach die Vorlage der Jahresbilanz 2019 verschoben und schließlich am 18. Juni 2020 eingeräumt, dass 1,9 Milliarden Euro angeblich auf Treuhandkonten verbuchte Gelder nicht existierten. Unmittelbarer Auslöser war, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY das Testat für die Bilanz des Jahres 2019 verweigerte.
Die Staatsanwaltschaft München geht von "bandenmäßigem Betrug" aus, bei dem kreditgebende Banken und Investoren um über drei Milliarden Euro geprellt worden sein sollen.
EY hatte die mutmaßlich gefälschten Wirecard-Bilanzen bis 2018 über Jahre testiert. Vorwürfe gab es deshalb von Beginn an auch gegen das Beratungsunternehmen. "Wir bei EY Deutschland bedauern sehr, dass der Betrug bei Wirecard nicht früher aufgedeckt wurde und werden entschieden handeln, damit sich ein Fall wie Wirecard nicht wiederholt", erklärte ein Sprecher der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gegenüber dpa.
Wer ist für die Schadensersatzklagen zuständig?
Vor den Zivilgerichten sind zahlreiche Schadensersatzklagen gegen EY anhängig. Die Klagen stützen sich darauf, dass die EY-Prüfer dabei nicht sorgfältig gewesen seien und damit ihre Pflichten verletzt hätten.
Die Landgerichte (LG) München und Stuttgart streiten unterdessen um die Zuständigkeit für hunderte Schadensersatzklagen. Das LG Stuttgart hat rund 140 im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal stehende Klagen gegen EY an das LG München I verwiesen.
Nach Angaben der dpa sind in München damit etwa 400 Wirecard-Zivilklagen anhängig. Diese Verfahren wollen die Münchner aber nicht allein abarbeiten: Das LG hat in 21 Fällen "Gerichtsstandbestimmungsanträge" beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart gestellt, teilte das OLG der dpa mit. Sollte das OLG zu Gunsten Münchens entscheiden, werden die dort beteiligten Kammern voraussichtlich bei weiteren Fällen die Übernahme verweigern. Am OLG werde jeder Fall gesondert geprüft, erklärte eine OLG-Sprecherin gegenüber dpa. "Die Entscheidung ist nur für das jeweilige Verfahren bindend."
Über eine einstellige Zahl von Klagen gegen EY ist in München bereits entschieden, in diesen Fällen haben die Kläger verloren.
Schwere Vorwürfe im Untersuchungsausschuss
Offen bleibt die Grundsatzfrage, wie ein Betrugsfall solchen Ausmaßes überhaupt möglich war.
Im Untersuchungsausschuss des Bundestags erhoben die Oppositionsfraktionen schwere Vorwürfe gegen das Finanzministerium und die Anti-Geldwäsche-Einheit des Bundes (FIU). Wichtige Hinweise auf Geldwäsche seien versandet. Das Bundesfinanzministerium wies die Vorwürfe zurück. Am kommenden Dienstag wollen die Bundestagsfraktionen ihre abschließenden Bewertungen vorlegen.
dpa/fkr/LTO-Redaktion
Aufarbeitung des Wirecard-Skandals: . In: Legal Tribune Online, 18.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45248 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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