Die Anzahl der Spin-Offs und Spezial-Boutiquen wächst stetig. Die Wechselbereitschaft von Großkanzlei-Anwälten nimmt zu, auch große Mittelständler verlieren Experten. Die Gewinner: Kleine, hochspezialisierte Einheiten.
Großkanzleien kämpfen an vielen Fronten. Die Rekrutierung von Bewerbern erweist sich mit deren sich wandelnden Vorstellungen von "guter Arbeit" als große Herausforderung. Denn noch wissen die großen Einheiten nicht so richtig, wie sie mit ihren jetzigen Geschäftsmodellen darauf reagieren sollen. Zugleich steigt der Umsatzdruck in den Kanzleien. Manche Anwälte kommen da nicht mehr mit und müssen – oder wollen - gehen. Etwa alternde Partner, die mit vollen Händen aus den Gewinntöpfen schöpfen, aber selbst nicht mehr die Umsatzerwartungen erfüllen. Die starren Kanzleistrukturen, die wenig Raum für eine flexible Arbeitsweise lassen, scheinen nicht mehr zeitgemäß.
Gute Zeiten also für Kanzleien, die anders funktionieren (wollen). Das Gründungsfieber greift um sich und selbst in heiß umkämpften Märkten entstehen neue Boutiquen. So ging in Hamburg Anfang dieses Jahres die Arbeitsrechtskanzlei Müller Witten in Hamburg aus Latham & Watkins hervor. Ehemalige Freshfields-Anwälte gründeten in Düsseldorf vor knapp einem Jahr mit Kind & Drews eine Kapitalanlage- und Steuerrechtskanzlei, außerdem ging in Köln die Konfliktlösungs-Boutique Borris Hennecke Kneisel an den Start. Dies sind nur drei von vielen Beispielen der jüngeren Vergangenheit.
Auf Kostendruck folgt Konsolidierung
Die Einkaufsabteilungen der Unternehmen sind einer der Haupttreiber für diese Entwicklung. Sie sind immer öfter an den Mandatierungen von Rechtsdienstleistern beteiligt. Und wo genauer auf die Kosten geguckt wird, werden eben nicht mehr alle Stundensätze abgenickt. Die Zeiten von Einmal-Mandant-Immer-Mandant sind vorbei.
Außerdem bauen viele Unternehmen ihre Rechtsabteilungen aus. Das Ziel dabei: Die Grundberatung soll am liebsten Inhouse stattfinden, so dass lediglich in Spezialfällen externe Experten hinzugezogen werden. So verliert der Full-Service-Ansatz für viele Mandanten an Attraktivität. Die Anzahl der Unternehmen, die sich den einen Stammberater wünschen, der alle Rechtsgebiete abdeckt, sinkt. Es steigt hingegen die Zahl der Mandanten, die Spezialisten suchen und dabei Wert auf eine hohe Qualität bei akzeptablen Kosten legen.
Die Folgen in der Kanzleiwelt sind deutlich spürbar: "Im Markt ist eine stärkere Ausdifferenzierung von Spezialisierung erkennbar", erklärt Rupprecht Graf von Pfeil von KermaPartners. Das bedeutet konkret: Die Kanzleien stutzen ihr Angebotsportfolio zurecht, verabschieden teure Partner und konzentrieren sich auf das Kerngeschäft konzentrieren. Vor allem die großen, internationalen Kanzleien trimmen sich derzeit auf Profitabilität. Konsolidierung ist angesagt.
Der Kanzleimarkt wird unübersichtlich
Durch den Zulauf, den kleinere und mittelgroße Einheiten von Großkanzleianwälten erfahren und die zunehmende Spezialisierung der Kanzleien, zerfasert der Markt merklich. "Die Erkennbarkeit im Markt ist wichtiger geworden", sagt Pfeil von KermaPartners. "Die Kanzleien müssen ihr Profil schärfen, um bestehen zu können." Der Treiber für diese Entwicklung: Wieder die Mandanten.
"Unternehmer und Inhouse-Juristen können die Qualität der Beratungsleistungen ihrer Kanzleien immer besser einschätzen", beobachtet Pfeil. "Viele teilen Mandate nach Komplexität und Wertigkeit auf und vergeben die einzelnen Elemente entsprechend an verschiedene Sozietäten, um die Ergebnisse hinterher selbst wieder zusammenzuführen." Zahlreiche Unternehmen bemühen sich aus Kostengründen, so viel Rechtswissen wie möglich im eigenen Haus abzubilden. Wird die Thematik aber zu speziell oder gerät das Unternehmen gar in existenzielle Schwierigkeiten, dann sprechen die General Counsel gezielt Spezialkanzleien an.
Der Einsparungsdruck der Unternehmen kennt allerdings Ausnahmen. Vor allem, wenn es - wie etwa bei Strafrechtsprozessen - um existenzielle Fragen für ein Unternehmen geht. Der Großteil des juristischen Geschäfts ist davon allerdings ausgenommen. Pfeil: "Wer Commodity-Beratung anbietet, also zum Beispiel eine klassische Due Diligence oder allgemeine Steuerberatung, unterscheidet sich kaum von Wettbewerbern. Hier kann man nur über den Preis gehen."
Ein fortwährender Kreislauf
"Die Frage ist immer dieselbe: Wachsen, sterben oder spezialisieren", fasst Martin Wollziefer die Entwicklung zusammen. Der Gründungspartner von SW Recht & Personal sieht Wachstumspotential vor allem in kleineren Einheiten: "Diese Sozietäten verfügen über flexiblere Strukturen und sind anpassungsfähiger. Den Trend zur Spezialisierung können sie ohne größere Umstrukturierungen mitmachen."
Der Markt bewegt sich also momentan in Richtung Boutique. Kleine, feine Player, die sich aus den starren Strukturen der Großkanzleien gelöst haben und hervorragende Beratungsqualität bieten. "Aber auch diese kommen an einen Punkt, wo sie merken, dass die Ansprüche der Mandanten wachsen und sie umfassendere Betreuung wünschen", sagt Wollziefer. "Dann wächst die Boutique zu einer größeren Einheit und der Kreislauf beginnt von vorn."
Désirée Balthasar, Vormarsch der Boutiquen: . In: Legal Tribune Online, 21.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16310 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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