Die EU-Kommission will das europäische Gesellschaftsrecht vereinheitlichten und die Mobilität von Unternehmen stärken. Das Vorhaben ist verbesserungswürdig – vor allem was die Unternehmensmitbestimmung betrifft, sagt Mareike Götte.
Für die Entwicklung des Binnenmarktes spielt es eine entscheidende Rolle, dass Unternehmen die Möglichkeit haben, ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten in anderen Mitgliedsstaaten unter stabilen Bedingungen auszuüben. Basis hierfür ist die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV). Ihre praktische Nutzung bleibt aber nach wie vor schwierig.
Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass das Gesellschaftsrecht nicht ausreichend harmonisiert ist. Zwar wurde die Zulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel erst im letzten Jahr in der Rechtssache Polbud nochmals durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) bestätigt (Urt. v. 25.10.2017; Rs. C-106/16), einheitliche Vorgaben für grenzüberschreitende Umwandlungen und Spaltungen gibt es bislang aber weiterhin nicht.
Kommission will einheitliches Schutzniveau
Diesen Mangel will die EU-Kommission nun beseitigen und zugleich den Arbeitnehmerschutz stärken. Dazu hat die Kommission am 25. April im Rahmen des EU Company Law Package einen Entwurf zur Änderung der Richtlinie RL 2017/1132 (EU) vorgelegt. Er konkretisiert die Vorgaben für grenzüberschreitende Verschmelzungen und sieht erstmals Spielregeln für grenzüberschreitende Umwandlungen (Sitzverlegungen) und Spaltungen vor. Mit dem Entwurf soll zudem insbesondere Gestaltungen vorgebeugt werden, bei denen die Unternehmensmitbestimmung bei grenzüberschreitenden Vorhaben verwässert wird.
Der Richtlinienentwurf knüpft an eine lange Diskussion im EU-Parlament an – auch zum Fehlen einheitlicher Schutzvorkehrungen für die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer. Er sieht deshalb einen Verfahrens- und Maßnahmenkatalog vor, durch den ein einheitliches Schutzniveau für grenzüberschreitende Umwandlungen und Spaltungen hergestellt bzw. die insoweit für grenzüberschreitende Verschmelzungen bestehenden Regelungen weiterentwickelt werden.
Verfahrensvorgaben sind (zu) aufwändig
Die von der Kommission vorgesehenen Maßnahmen sind natürlich von Kompromissen gegenüber Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern geprägt und wirken wohl auch deshalb an vielen Stellen noch nicht bis zum Ende gedacht. Dass sie für Unternehmen in ihrer jetzigen Form zielführend sind, muss bezweifelt werden. Gerade kleine und mittlere Unternehmen, deren grenzüberschreitende Mobilität durch den Entwurf besonders gestärkt werden soll, könnten sich durch die vorgesehenen teils zeitaufwändigen und kostspieligen Verfahrensvorgaben abschrecken lassen. Umgekehrt ist den Arbeitnehmerinteressen auch nicht unbedingt sinnvoll Rechnung getragen.
Zunächst wenig überraschend und in der Sache begrüßenswert, knüpfen die für die Arbeitnehmerbeteiligung vorgesehenen Verfahrensregelungen zur Gestaltung der Unternehmensmitbestimmung an Bewährtes an: die bestehenden Regeln für die Socieats Europaea (SE) und grenzüberschreitende Verschmelzungen. Das Grundmodell der Mitbestimmungsgestaltung bleibt damit die Kombination aus einer (vorrangigen) Verhandlungslösung und einer (nachrangigen) gesetzlichen Auffanglösung. Diese Regeln sind in der Praxis bewährt; sie werden jedoch in dem Entwurf – zum Teil in nicht nachvollziehbarer Weise – weiterentwickelt und dadurch (unnötig) verkompliziert. Hinzu kommen neue Informationspflichten.
Neuer Sonderbericht für Arbeitnehmervertreter
So sieht der Entwurf für alle grenzüberschreitenden Vorhaben zusätzlich zu dem Bericht an die Gesellschafter einen "Sonderbericht" vor, der den Arbeitnehmervertretungen – oder, wenn eine solche nicht vorhanden ist, den Arbeitnehmern – in elektronischer Form zugänglich gemacht werden muss. Der Sonderbericht soll die Auswirkungen des grenzüberschreitenden Vorhabens auf die Arbeitsplätze und Arbeitnehmer beschreiben.
Neben technischen Fragen zum Inhalt bleibt aber vor allem der praktische Nutzen eines solchen Berichts zweifelhaft. Erfahrungsgemäß werden entsprechende Informationsschreiben insbesondere, wenn sie ausschließlich den Arbeitnehmern zugänglich zu machen sind, ohnehin kaum wahrgenommen. In der Praxis stellen sie damit oft eine bloße Förmelei dar, die für Unternehmen jedoch zeit- und kostenintensiv ist. Viel gewonnen ist damit wahrscheinlich nicht.
(Neue) Schwellenwerte für Umwandlungen und Spaltungen
Noch weniger zielführend ist im Ergebnis das derzeit vorgeschlagene Mitbestimmungskonzept. Richtig ist noch der Ausgangspunkt: Grundsätzlich gilt im Fall der grenzüberschreitenden Umwandlung und Spaltung für die daraus hervorgehende Gesellschaft das jeweils anwendbare Mitbestimmungsregime des Zuzugsstaates. Die Kombination aus Verhandlungs- und gesetzlicher Auffanglösung greift nur ein, wenn das nationale Recht des Zuzugsmitgliedsstaates eine Mitbestimmung nicht im gleichen Umfang wie bisher vorsieht.
Nicht sinnvoll ist aber die nur für Umwandlungen und Spaltungen (immerhin nicht für die grenzüberschreitende Verschmelzung) vorgesehene weitere Neuerung: Danach muss über eine Vereinbarung zur Mitbestimmung verhandelt werden, wenn die Anzahl der Arbeitnehmer 4/5 des im nationalen Recht des Wegzugsmitgliedsstaats festgesetzten Schwellenwerts für die Mitbestimmung überschreitet. Konsequenz: Nicht mitbestimmte Unternehmen, die sich grenzüberschreitend umwandeln oder spalten wollen, müssen also über eine zukünftige Mitbestimmung verhandeln, obwohl durch die grenzüberschreitende Umwandlungsmaßnahme gar keine Verschlechterung des Status Quo droht.
Kann keine Einigung erzielt werden, gilt die gesetzliche Auffanglösung, nach der das Mitbestimmungsregime, das vor der Umwandlungsmaßnahme bestand, „eingefroren“ wird: Gab es vorher kein Mitbestimmungsregime, bleibt es nachher auch dabei. Die vorgezogene Verhandlungspflicht läuft damit letztlich ebenfalls auf eine bloße zeit- und kostspielige Pflichtaufgabe ohne größeren Mehrwert für das Unternehmen hinaus.
Schließlich sieht der Entwurf für alle grenzüberschreitende Maßnahmen gleichermaßen –die für die grenzüberschreitende Verschmelzung bislang geltenden Regelungen verschärfend – eine dreijähriger Veränderungssperre vor. Danach werden Auswirkungen auf die Mitbestimmung durch nachfolgende Reorganisationsmaßnahmen durch Verschmelzung, Umwandlung oder Spaltung im Ergebnis ausgeschlossen.
Im Detail nachbesserungsbedürftig
Auch wenn der Entwurf für viele vom Brexit betroffene Unternehmen zu spät kommen dürfte: Grundsätzlich ist die Intention der Kommission, endlich einen gesetzlichen Rahmen für grenzüberschreitende Umwandlungen und Spaltungen zu schaffen, begrüßenswert.
Jedoch lässt der Entwurf noch viele Fragen offen und sollte nachgebessert werden – etwa mit Blick auf den Schwellenwert für das Eingreifen der Verhandlungspflicht sowie die Vorgaben zum Sonderbericht.
Überdenkenswert ist außerdem, ob die in der jetzigen Form vorgesehene Veränderungssperre nicht dem Ziel zuwiderläuft, die grenzüberschreitende Mobilität von Unternehmen nachhaltig zu verbessern.
Mareike Götte ist Rechtsanwältin im Fachbereich Employment & Pensions bei Noerr LLP. Sie berät und vertritt vom Standort Düsseldorf aus Investoren und Unternehmen insbesondere bei (strategischen) arbeitsrechtlichen Re- und Umstrukturierungen.
EU-Pläne zur Unternehmensmitbestimmung: . In: Legal Tribune Online, 25.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29949 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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