Immer das Gleiche: Wenn Anwälte eine Kanzlei verlassen, will jede Seite ihre Version der Trennungsgeschichte erzählen. Mit dem Anspruch, dass ihre Perspektive auf das Beziehungsende die einzig Richtige ist. Aber tut das wirklich Not?
"Ich habe sie verlassen!" – "Nein, es war genau anders herum: Wir haben uns von ihm getrennt." Als unbefangener Beobachter der Kanzleiszene unterdrückt man in Momenten, wenn über die Hintergründe eines Partnerwechsels gesprochen wird, nur mit Mühe ein Seufzen. Man fühlt sich plötzlich in eine allzu bekannte Situation versetzt: Wenn ein befreundetes Paar sich getrennt hat, dann taucht früher oder später jeder der Partner bei einem auf. Sitzt stundenlang auf dem Sofa, trinkt die Rotwein-Vorräte aus und erzählt in quälender Ausführlichkeit, wie unerträglich es in der Beziehung – die doch bislang von außen betrachtet ganz in Ordnung schien – gewesen ist.
So auch in der Kanzleiwelt. Da sagt die eine Seite: Sie (die Kanzlei) hat immer viel zu hohe Ansprüche an mich gestellt – in Form von Umsatzerwartungen, die einfach nicht zu erreichen waren. Die Gegenseite antwortet: Er (der Anwalt) war doch bloß faul und außerdem zu stolz, um die Unterstützung, die man ihm angeboten hatte, anzunehmen. Da musste man notgedrungen irgendwann den Schlussstrich ziehen.
Überhaupt sei das Ganze nicht persönlich zu nehmen, sondern Ausdruck einer strategischen Neuausrichtung. Das wiederum kennt man auch aus dem Privatleben, statt Begriffen wie "Strategie" und "Partnership Review" werden dann aber häufig Vokabeln wie "Selbstfindung" oder "Selbstverwirklichung" bemüht.
"Wir haben uns auseinandergelebt"
In den letzten Wochen waren vor allem in britischen Branchenmagazinen beinahe täglich Nachrichten über Kanzleien zu lesen, die ihre Partnerschaft überprüfen, sprich: verkleinern wollen. Während die Initiative zur Trennung hier also offenbar von der Kanzlei ausgeht, gibt es - gar nicht so selten - auch den umgekehrten Fall. Dann verlassen ausgerechnet die Anwälte eine Kanzlei, die man eigentlich nicht ziehen lassen wollte. Weil sie hohe Umsätze eingespielt oder besonders profitable Teams geleitet haben.
Dass solche Weggänge schmerzhaft sind, wird allerdings kaum ein Kanzleimanagement offen zugeben wollen. Dann ist die Rede von einem "zunehmend schwierigen persönlichen Verhältnis" zwischen dem Anwalt und Kanzleiführung – und außerdem habe man nie so recht zusammen gepasst, wenn man es einmal nüchtern betrachtet. Gut also, dass das nun ein Ende habe.
Die Abtrünnigen dagegen erzählen oft, wie man ihnen die Wertschätzung verweigert, sie mit unsinnigen Anforderungen gegängelt und mit langwierigen internen Abstimmungen zu Tode gelangweilt habe. Da war es also nur eine Frage der Zeit, bis sie den Verlockungen der Wettbewerber erlegen seien.
Als distanzierter Beobachter ist man in solchen Momenten etwas ratlos. Es ist wie bei den lieben Freunden, die mit verweinten Augen auf dem Sofa sitzen: Sie möchten unbedingt, dass man ihre Version der Geschichte glaubt - und sie liefern natürlich auch gute Argumente dafür, warum der Andere der Böse ist. Allerdings ist man klug beraten, sich nicht auf eine Seite zu schlagen, wenn man nicht wirklich handfeste Beweise für ein Fehlverhalten hat.
Es kommt übrigens auch gar nicht darauf an, sich an solchen Spekulationen zu beteiligen. Denn wer wen verlassen hat, das interessiert die Clique höchstens für ein paar Wochen. Dann ist es vergessen. Denn es gibt schon wieder neuen Tratsch.
Anja Hall, Beobachtungen einer Außenstehenden: . In: Legal Tribune Online, 10.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16168 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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